SIEGEN. „Wir wurden zu einem internistischen Notfall nach Herborn gerufen und ich bin auf dem Supermarktparkplatz gelandet, weil es woanders keinen Platz gab. Dann kam eine Frau zu mir und sagte, sie hätte nun schon drei Mal beim ADAC angerufen, weil sie eine Reifenpanne habe, aber keiner würde kommen“, Gerald König erzählt in der Siegener Luftrettungsstation hoch oben auf dem Jung-Stilling-Krankenhaus von diesem Einsatz. „Ich habe sie gefragt, was sie wohl meinen würde, warum ich hier gelandet bin und ob sie einen normalen Schutzbrief, oder einen Plus-Schutzbrief hat“, erzählt er mit einem Grinsen weiter. Die Frau habe verdutzt geantwortet, dass sie nur einen normalen Schutzbrief habe, und er habe ihr wiederum geantwortet, dass der Hubschrauber des ADAC eigentlich nur für Kunden mit Plus-Schutzbrief zuständig ist, er aber heute mal eine Ausnahme machen würde. Während die medizinische Crew in der Nachbarschaft den Patienten versorgte, ging Gerald König mit der Frau und wechselt ihr den Reifen. „Die guckte mich an“, freut er sich, und fährt fort: „Wahrscheinlich guckt sie heute noch“.
Gerald König war Pilot fast von der ersten Stunde an, war früher Stationsleiter in Siegen in der Luftrettungsstation „Christoph 25“. Heute war der Einladung seiner Freunde und ehemaligen Kollegen gefolgt, um ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern und aus dieser Zeit zu erzählen. Wenn man ihm dabei so zugehört hat, dann meint man glatt, er wäre nie weg gewesen. In 2016 war Gerald aber in seinen wohl verdienten Ruhestand gegangen. Heute war er noch mal da, noch mal kurz in Aktion, zum 40 jährigen Bestehen der Hubschrauberstation am Jung-Stilling-Krankenhaus, das heute mit geladenen Gästen im Rahmen eines Festkommers und einer Fortbildungsveranstaltung gefeiert wurde.
Gerald konnte in seiner Rede und seiner Präsentation, die er zusammen mit Michael Weber ausgearbeitet hatte, auf 40 Jahre Stationsgeschichte zurück blicken, und auch noch ein bisschen auf die Zeit davor. Er erinnerte sich daran, wie der Hubschrauber in den Anfangszeiten abends immer noch weg geflogen werden musste, weil es zunächst keinen Hangar gab, dass es früher oftmals Ersatzmaschinen vom französischen Typ „Eichhörnchen“, oder in Form einer BK 117 von MBB gegeben hatte. Passende Fotos dazu hatte Michael Weber parat und Wochen zuvor in die Präsentation eingebaut. Er stand heute mit vorne und unterstützte seinen Freund Gerald beim Vortrag in den technischen Belangen. „Ich bin nämlich mit Handys und Computern auf Kriegsfuß und deshalb muss der Michael das machen“, berichtete Gerald. Michael Weber, so erzählte er weiter, sei übrigens als kleiner Junge immer am Zaun gewesen und habe den Hubschrauber angeschaut und ihn später auch regelmäßig gewaschen und poliert. Auch Michael gehört in den 40 Jahren Stationsgeschichte einfach dazu.
Die Anfänge
Angefangen hatte die Überlegung, in Siegen einen Hubschrauber zu stationieren bereits früher. Wie Dr. Josef Rosenbauer, Geschäftsführer des Diakonie Klinikum Jung-Stilling berichten konnte, wurde der erste Landeplatz bereits in den 60er Jahren von einem Hubschrauber angeflogen und „eingeweiht“. Mit Errichtung eines Dachlandeplatzes sei dann auch die Frage aufgekommen, einen Rettungshubschrauber dauerhaft in Siegen zu stationieren. Ursprünglich sollte der Siegener Hubschrauber „Christoph 19“ heißen. Der steht jedoch heute in Uelzen und nach Siegen kam die Nummer 25, so lange dauerten alle Formalitäten und auch Finanzierungen, bis es zunächst mit einem Probetrieb startete und dann bis heute erhalten blieb. Im letzten Jahr erst wurde die neue Dachstation ihrer Bestimmung übergeben, von wo aus die Besatzungen nun zu ihren lebensrettenden Einsätzen abheben. Dr. Rosenbauer weiß: „Aufgrund der globalen Entwicklungen wäre diese Maßnahme heute einfach nicht mehr möglich, eine solche Dachstation zu errichten. Allein 300 Tonnen Stahl seien hierbei verbaut worden. Welche enormen Vorzüge die Station nun bringt, konnten Stationsleiter Markus Scheld und Dr. Christoph Herbst in ihrem Vortrag deutlich machen und mit Fotos untermauern. Nicht nur aus fliegerischer Sicht, in dem man die gesamte Gegend hervorragend einsehen könne, bringe dieser Standort wesentliche Vorteile mit sich. Auch die Räumlichkeiten für Material, der Hangar und die Sozialräume seien großartig eingerichtet und bieten ein erstklassiges Platzangebot. Davon konnten sich sowohl die Gäste heute überzeugen, und auch morgen besteht die Möglichkeit beim Tag der offenen Tür, sich in Gruppen in die neue Dachstation führen zu lassen.
Wie Christoph fliegen lernte
Nicht nur zur Geschichte der Station an sich gab es heute Interessantes zu hören: Jan Weber, Pilot mit Leib und Seele und in seiner Siegerländer Heimat als „Kutscher“ bei Christoph 25 engagiert, berichtete den Gästen heute seine Geschichte „Als Christoph fliegen lernte“. Mit Jan, der mit soviel Herzblut bei der Rettungsfliegerei ist und gleichzeitig auch bei der ADAC Luftrettung in ganz Deutschland Flottenchef für die EC 135 ist, der Nachtflugschulungen (NVIS) und Supervisionen für neue Piloten an seiner Station durchführt, hat man wohl zweifelsohne einen der Besten gefunden, der den Besuchern die technische Entwicklung des Einsatzmittels „Hubschrauber“ näher bringen konnte. Egal ob es technische Laien waren, oder ob es Pilotenkollegen waren, egal ob Freunde, Bekannte, oder Besucher, die Jan Weber heute zum ersten Mal gesehen haben – er hat es mit den ersten Sätzen bereits geschafft, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen und das hat bis zum letzten Wort angehalten. Eindrucksvoll und fast emotional erklärte Jan die Anfänge der Fliegerei, die Niederlagen, die Komplikationen und die Durchbrüche. „Da war ein genialer deutscher Ingenieur, der hat den Durchbruch gebracht. Das war Ludwig Bölkow, von der späteren Firma MBB, Messerschmidt-Bölkow-Blohm“, berichtet Jan Weber. Er strahlt, während er von der BO 105 erzählt, die als erster ständig einsatzbereiter Rettungshubschrauber „Christoph 1“ in München zum Einsatz kam. Auch in Siegen und in der gesamten deutschen Luftrettung war dieses Hubschraubermuster ausschlaggebend und richtungsweisend. Im weiteren Werdegang berichtet Jan Weber von der neuen europäischen Luftfahrtrichtlinie JAR-OPS-3, die später eine Verwendung der BO 105 in der Luftrettung nicht mehr zuließ. In Siegen, wie auch an den allermeisten anderen Stationen kam als Ersatz fortan ein Hubschrauber vom Typ EC 135 in unterschiedlichen Varianten zum Einsatz, der bis heute den Notarzt zum Patienten bringt. „Es gibt nichts besseres, als das was im Moment draußen steht, um unseren Auftrag zu erfüllen“, berichtet Jan Weber und versichert, dass er sich jederzeit wieder für dieses Hubschraubermuster entscheiden würde. Seinen Stolz darüber, ein Teil dieses tollen Rettungsteams in Siegen zu sein, kann er nicht verbergen. Seine Zuhörer danken es ihm mit Gänsehaut, manchmal einem Kloß im Hals und kräftigem Applaus.
Einsatzspektrum der Siegener Luftrettung - Rettungswinde geplant und eigentlich längst überfällig
Was machen die Einsatzteams eigentlich in der heutigen Zeit? Welche Einsatzanlässe gibt es? Wie geht es manchen Patienten heute? Wie sieht das Einsatzgebiet aus? Diesen Fragen nehmen sich Stationsleiter Markus Scheld, der leitende Hubschrauberarzt Dr. Thomas Steitz, und sein Stellvertreter Dr. Benjamin Fronske, sowie Dr. Steffen Schröter, der als Chefarzt die Unfallchirurgie im Jung-Stilling-Krankenhaus leitet, an. Er kann von einem Mann berichten, der mit Christoph 25 gebracht wurde, nachdem er von seinem Pkw an die Wand gequetscht worden war und schwerste Beinverletzungen erlitten hat. Eindrucksvoll schildert Dr. Schröter zunächst den Zustand bei der Einlieferung und die vielen Operationen, die er und sein Team am Patienten, gerade einmal 36 Jahre alt, durchführen mussten. Zum Schluss seines Vortrages zeigt er ein Video, auf dem der junge Mann auf seinen eigenen Beinen läuft und lächelt. „Ich habe den Patienten noch schnell angerufen und dieses Video für meinen Vortrag von ihm geschickt bekommen“, freut er sich. Damit, und mit seinen tollen Ausführungen ist es ihm gelungen, sehr eindrucksvoll zu untermauern, was alle eigentlich schon wissen: Die Luftrettung in Anbindung an ein regionales Traumazentrum macht mehr als Sinn und rettet Menschen oder gibt ihnen die Gesundheit zurück. Benjamin Fronske beispielsweise konnte von einem Fallschirmspringer, Dennis König, berichten, der in Schmallenberg aus 1500 Metern Höhe abgestürzt war, nachdem die Schirme nicht korrekt funktioniert hatten. Der Mann landete in einer Fichte und konnte zunächst nicht gerettet werden. Schnelle Hilfe kam von einem Baumkletterer aus der Forstwirtschaft: Innerhalb weniger Minuten hatte dieser den Mann in der Fichte erreicht, ihn gesichert, das Seil der Schirme gekappt und den Mann nach unten gebracht. Der Verunfallte sei komplett instabil gewesen, schwerste lebensbedrohliche Verletzungen habe er gehabt und sei nach der Erstversorgung mit dem Hubschrauber in etwas mehr als zehn Minuten ins Jung-Stilling-Krankenhaus geflogen worden. Nur ein Jahr nach dem Unfall hat Dennis König dem „Spiegel“ ein Interview gegeben – nicht zuletzt Dank der ineinandergreifenden Zahnräder der Luftrettung und des regionalen Traumazentrums im Jung Stilling Krankenhaus. Benjamin Fronske stellte aber klar: „Der Forstwirt hat dem Mann letztlich das Leben gerettet“. Ein Einsatz einer Drehleiter sei hier ausgeschieden, weil der Mann nicht habe erreicht werden können. Der nächste einsatzbereite Windenhubschrauber sei in Nörvenich gewesen, mit etwa einer Stunde Vorlaufzeit – dann wäre der Mann gestorben. Dies war ein Thema, was heute öfter angesprochen wurde. Wenn man den Ausführungen von Stationsleiter Markus Scheld aufmerksam zugehört und seine eindrücklichen Fotos angeschaut hat, dann war spätestens jedem klar: Eine Rettungswinde für die Siegener Luftrettung ist längst überfällig. „Wenn ich gefragt werde, was die Besonderheit an unserer Station ist, dann antworte ich -Wald-,“ berichtet Markus in seinem Vortrag und zeigt Fotos, auf denen man den Hubschrauber gar nicht sieht, weil er in mitten von jungen Buchen, oder Gestrüpp steht. Wildwiesen, Äsungsflächen, Rückegassen oder Feldwege – sie alle halten im Notfall als Landeplatz her. Oftmals weit weg vom Patienten. Dann werden Feuerwehren alarmiert, die die Hubschrauberbesatzung zum eigentlichen Notfallort fahren muss. „Das kostet Zeit und bindet Einsatzkräfte“, rechnet Markus Scheld vor. Bei den verheerenden Waldbränden in den letzten Wochen beispielsweise könne die Feuerwehr das gar nicht machen, weil sie schlichtweg keine Zeit habe und an anderer Stelle gebraucht werde, erklärt er eindrucksvoll. Nicht nur für verunglückte Wanderer, Freizeitsportler und Radfahrer, die entlang des Rothaarsteiges von Dillenburg bis Brilon verunglücken können, wird der Rettungshubschrauber alarmiert: Auch Waldarbeiter brauchen immer wieder schnelle Hilfe nach Arbeitsunfällen. „Gerade jetzt bei dem massiven Käferbefall“, unterstreicht Markus Scheld und zeigt Fotos, auf denen zu sehen ist, wie ein verunfallter Arbeiter aus einem unwegsamen Steilhang mit acht oder neun Einsatzkräften und Passanten abtransportiert wird, die sich dabei selbst in Gefahr bringen. Hier wäre eine Rettungswinde das Mittel der Wahl nicht nur für die Patienten, sondern auch die Hubschrauberbesatzung und alle übrigen Menschen, die sich bei einem zu Fuß Transport in Kahlschlagflächen oder unwegsamem Gelände immer wieder in Gefahr bringen.
Tragödien im Ahrtal
Unterstrichen wurde die Wichtigkeit einer Rettungswinde von Dr. Martin Schiffarth, Regionalleiter Medizin West bei der ADAC Luftrettung und früher selbst Notarzt bei „Christoph 25“. Er war als leitender Notarzt im Ahrtal im Einsatz und zeigte auf, wie viele Menschen dort den Hubschraubern mit Winde ihr Leben verdanken: 111 Leute wurden auf diese Weise aus den Fluten gerettet. Allerdings zeigte der Mediziner, der selbst als leitender Notarzt im Ahrtal im Einsatz war, auch andere Dinge auf: Der nächstgelegene Rettungshubschrauber des ADAC, der mit einer Winde ins Ahrtal kam, startete in München und hatte eine Anflugzeit von rund drei Stunden. Hubschrauber die näher dran waren und eine Winde hatten, gab es schlichtweg nicht. Martin zeigte Fotos zu denen er mit ruhiger Stimme erklärte: „Das war ein Kollege von mir. Er und sein Sohn haben sich elf Stunden lang an diesem Baum in den Fluten festgehalten, bis sie mit der Winde gerettet wurden. Seine Frau und sein Mädchen sind ertrunken“. Da ist es still im Hangar. Einige Zuhörer schütteln entsetzt den Kopf. Hier ist zum Greifen nahe, wie wichtig Rettungswinden am Hubschrauber sind. Unabdingbar seien natürlich intensive Trainings, gibt Martin mit auf den Weg und erklärt, dass fast alle Zwischenfälle, die bei Windeneinsätzen geschehen, auf den Faktor Mensch zurück zu führen sind.
In Sachen Rettungswinde geht der Weg in Siegen in die richtige Richtung: So konnte Benjamin Heese, Leiter Partnermanagement bei der ADAC Luftrettung, in seinem Grußwort berichten, dass im vom Land NRW erstellten Bedarfsplan die Hubschrauberstation in Siegen als Windenstation vorgesehen ist. Hier gilt es von zuständiger Seite, die Finanzierung zu sichern.
"Das ist ein Geräusch, das dem Leben dient"
Neben den außerordentlich tollen Fachvorträgen hat auch ein weiterer Redner den Nagel auf den Kopf getroffen. Peter-Thomas Stuberg, Gesellschafter der Diakonie Südwestfalen und Superintendent und Pastor des Kirchenkreises Siegen berichtete, dass er mit seiner Familie direkt unterhalb des Hubschraubers wohnt. Er versicherte, dass er sich mit seinen Nachbarn nicht für diese Rede abgesprochen habe, aber sie alle seien sich einig, dass es in den 40 Jahren niemals gestört habe, wenn das Rotorengeräusch über Häuser und Gärten geknattert sei. „Das ist ein Geräusch, das dem Leben dient“. In der Hubschrauberkabine werde das Leben zwischen Himmel und Erde anschaulich und dort merke man auch, dass das Leben sehr verletzlich sei. „Ihnen allen gilt mein ganzer Respekt, allerhöchste Hochachtung und ganz großer Dank!“
Rainer Michely im Rettungseinsatz
Als einziger der drei im Moment Dienst tuenden Piloten bei Christoph 25 wurde Rainer Michely in diesem Text in dem Zusammenhang mit Fachvorträgen oder Grußworten nicht erwähnt. Dies hat einen Grund: Rainer hat heute keine Rede gehalten. Er hat von den Besuchern weitgehend unbemerkt heute etwas anderes gemacht: Rainer hatte heute, am Tag des Festkommers, Dienst in „seinem“ Christoph 25 und hat eine der medizinischen Besatzungen zunächst zu einem schweren Fahrradsturz in den Hochsauerlandkreis geflogen, den Patienten anschließend sicher in eine Klinik gebracht, während des Heimfluges zu einem schwer verunfallten Motorradfahrer geflogen und ihn mit ins Jung-Stilling-Krankenhaus gebracht. Er hat heute das gemacht, was Christoph 25 schon seit 40 Jahren tut: Mit seinem Können ermöglicht, Leben zu retten und Gesundheit zu erhalten. Sage und Schreibe 42.000 Menschen konnte Christoph 25 seit seinem Bestehen helfen.