SIEGEN-WITTGENSTEIN. „Sind Sie nur Pilot?“, diese Frage wurde Rainer Michely während seiner vierzigjährigen Dienstzeit am Meisten gestellt. „Ja, ich bin nur Pilot. Aber aus vollster Überzeugung“, antwortete er den vielen Menschen, denen er bei seinen Einsätzen begegnete mit gewohnt ruhiger Stimme und seiner sympathischen Art. Rainer Michely ist bis zur letzten Minute Rettungspilot aus Leidenschaft. In seinen letzten 27 Dienstjahren flog er mit „Chirstoph 25“ den Notarzt ins Siegener Umland. Insgesamt über 36.000 Starts und Landungen absolvierte er, flog rund 8100 Stunden lang.
Eigentlich hatte er gar nicht vor, in der Fliegerei zu arbeiten, erzählt Rainer Michely mir bei einem Treffen kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Flugdienst. Am heutigen Samstag wird er zum letzten Mal mit „Christoph 25“ abheben und den Menschen Hilfe bringen. Danach beginnt der passive Teil seiner Altersteilzeit – einen Tag vor seinem 60. Geburtstag.
Zufallsbegegnung Hubschrauber - Geiseldrama auf der Autobahn
Den Weg zu „seinen“ Hubschraubern fand Rainer zunächst durch Zufall: „Da war eine Werbeveranstaltung vom Bundesgrenzschutz an unserer Schule. Und ich hatte von meinem Opa schon ein Luftgewehr geschenkt bekommen als Kind. Da dachte ich, das wäre was für mich“, lacht er. Doch nach einiger Zeit merkte er, dass der Polizeidienst im Bundesgrenzschutz doch nicht das Richtige für ihn war. Dennoch schloss er seine Ausbildung ab. „Ich hätte dann zum Einen eine abgeschlossene Ausbildung und zum Anderen mit einem weiteren Jahr Tätigkeit bei der Polizei nicht mehr zur Bundeswehr gemusst“, erklärt er seine damaligen Beweggründe, nicht aus der Ausbildung auszusteigen. „Und dann gab es einige Kumpels bei der Polizei, die waren auf eine Ausschreibung zum Fliegerlehrgang aufmerksam geworden“, erinnert er sich weiter. Die sagten zu mir: „Komm, da bewerben wir uns und werden Piloten“. Eine Vorstellung, von der Rainer sich zu dieser Zeit keinen Erfolg versprach. „Aber wir haben uns dann beworben“, erzählt er mit einem Lächeln im Gesicht. Nach wenigen Tagen wurden alle seine Kumpels zum Auswahlverfahren eingeladen, Rainer jedoch nicht. „Meine Noten im Einsatzrecht waren schlecht. Deshalb war für mich klar, dass man mich da aussortiert hatte und ich ging zur Einsatzhundertschaft“, beschreibt er seinen weiteren Werdegang. Damals musste der gebürtige Hunsrücker als Streife die innerdeutsche Grenze bewachen. So eigentlich auch an jenem Freitagmorgen, als sie in der Grenzschutzkaserne antreten mussten. „Der Spieß kam raus und rief mich ab, ich solle mal sofort rein kommen“, erinnert er sich. Unbehagen machte sich bei Rainer breit. „Das gab es noch nie bisher, dass jemand beim Antreten rein gerufen wurde“. Am Telefon war ein Fluglehrer aus Hangelar, der Rainer fragte, ob er noch Interesse am Fliegerlehrgang habe. Nach einem kurzen Telefonat am Freitagmorgen war klar: Ab Montag beginnt das Auswahlverfahren. Eine Vorbereitung gab es dann nicht mehr. „Ich musste meine Grenzstreife tauschen und bin dann von Bad Hersfeld in den Hunsrück gefahren, um Sachen zu packen und ab Montag am Auswahlverfahren teilzunehmen. Ich hatte ja gar keine Ahnung von der Fliegerei, oder von dem, was mich da erwartet“, machte er sich nicht viel Hoffnung. Am Ende war Rainer von den Kumpels der einzige, der das Auswahlverfahren bestand und im Mai 1984 zum Fliegerlehrgang gehen durfte. Ein Glücksfall nicht nur für ihn selbst, sondern auch für viele andere Menschen, denen er hinterher helfen oder auch einfach „nur“ eine Freude bereiten konnte. Zunächst war er als junger Pilot auf einem Hubschrauber vom Typ „Alouette“ eingesetzt und machte in der Hauptsache Grenzüberwachungsflüge, oder flog hochrangige Persönlichkeiten. „Die waren aber oft auch arrogant oder unverschämt und es hat mir nicht viel Freude gemacht“. Jeder, der Rainer persönlich kennt, weiß dass solche Charaktere zu dem freundlichen und immer ausgeglichenen Piloten nicht passen. Da war es ein Segen für ihn, ein Rating für die BO 105 zu bekommen und damit dann fast nur noch Rettungsdiensteinsätze fliegen zu dürfen. Einen Großteil davon absolvierte er als Pilot des „Christoph 3“ vom Klinikum Köln Merheim aus. Einen Einsatz in dieser Zeit, den er nie vergessen wird: „Wir wurden in Richtung Autobahn geschickt und der Tower gab uns eine Richtung vor. Das gab es bis dahin noch nie“, erinnert er sich. Als er auf der Autobahn landete, boten sich ihm und seinem Team unglaubliche Bilder: „Spezialkräfte hatten Täter auf der Straße gefesselt und hatten ihre Waffen im Anschlag. Ein Auto, durchlöchert mit Einschüssen, stand dort“, erzählt Rainer. Beim damaligen Geiseldrama von Gladbeck, was um die Welt ging, war er das erste eintreffende Rettungsmittel nach dem Zugriff auf der Autobahn. „Wir haben die Überlebende junge Frau in eine Klinik geflogen“, erinnert er sich. Anschließend musste er mit seinen Kollegen zum Untersuchungsausschuss, um dort zu seinen Beobachtungen befragt zu werden. Dabei begegnete er schon seinen künftigen Kollegen von „Christoph 25“, die damals auch im Einsatz waren.
Zum Geburtstag zu den Gelben Engeln
„Nach langen Jahren beim Bundesgrenzschutz fuhr ich jeden Morgen mit Bauchweh durchs Kasernentor“, gesteht er mir. „Die Welt war nicht meine. Das Antreten, das zackige Auftreten und das Salutieren. Es war einfach nicht meine Welt“, sagt er. So hat er sich bei der ADAC Luftrettung beworben – und an seinem Geburtstag, am 27. Oktober in 1997 - dort seinen Arbeitsvertrag unterschrieben und dann ab dem Neujahrstag in 1998 den Notarzt mit „Christoph 25“ geflogen. Doch weit mehr als nur das: Rainer erzählt mir von einem Einsatz auf der Dill. „Der Fluss war nicht wie normal, nur fünf Meter breit, sondern fünfzig und es gab eine unglaubliche Strömung durch das Hochwasser“, berichtet er. Bei diesen lebensgefährlichen Bedingungen war ein Schlauchboot gekentert. „Ein Junge, vielleicht 15 oder 16 Jahre alt, hielt sich im reißenden Strom an ein paar Ästen fest“, beschreibt Rainer mir. „Wir drehten zwei tiefe Runden und erkundeten die Situation. Dann war klar, wir machen das! Wir sind nicht erst noch irgendwo zwischengelandet“, erinnert er sich. Es wäre unmöglich gewesen, ein Rettungsboot, oder Feuerwehrleute an die Stelle zu schicken. Rainer Michely steuerte seine BO 105 zielgenau zu dem Jungen. „Die Äste waren zum Glück recht niedrig. So konnte ich mit den Rotorblättern über die Äste fliegen und mit der Zelle in die Äste. Der Rettungsassistent konnte den Jungen dann greifen und beherzt in die Maschine ziehen und dann konnten wir ihn ans Ufer fliegen und dort versorgen“, berichtet er. Die Freude darüber, dem Jungen gemeinsam mit seinem Team das Leben gerettet zu haben, kann er nicht verbergen. Ob es da im Nachgang noch mal einen Kontakt gegeben hat, möchte ich wissen. Aber das gab es nicht. „Es kommt eher selten vor, dass wir Rückmeldungen oder einen länger dauernden Kontakt bekommen“, erklärt der Pilot mir. Doch das könne er auch verstehen und wolle absolut niemandem einen Vorwurf machen: „Das ist für die Leute eine absolute Ausnahmesituation und auf sie wirkt da so viel ein“, erklärt er. Und doch gibt es diese schönen Momente ab und zu, wenn Menschen kommen und sich für die Rettung bedanken möchten, oder einfach zeigen wollen, dass es ihnen wieder gut geht. „Es gibt einen Herrn, der schickt uns jedes Jahr etwas zu Weihnachten. Und das ist auch wirklich schön“, freut sich Rainer.
Interessante Einblicke und Freude bereiten
Eine wichtige Säule seines Berufes neben der Kombination aus der Faszination des Fliegens und dem Helfen können waren auch die Einblicke, die Rainer während seiner Einsätze erhalten konnte: „Ich konnte ja in Firmenhallen gehen, wo nie jemand anderes einfach so rein gekommen wäre. In den Klamotten wurde ich nicht weg geschickt. Ich habe oft in die Werkshallen geschaut und mir gedacht, dass ich wahnsinniges Glück habe, nur Pilot zu sein“, berichtet er mir voller Hochachtung vor der Arbeit in den großen Fabriken. „Auch auf mancher Terrasse bin ich gewesen und habe eine Grillwurst mitgegessen, oder am Frühstückstisch gesessen“, lässt er die Zeit Revue passieren. „Ich konnte ja abschätzen, wenn es länger dauert“, erklärt er. „Mein Anspruch war immer, dass ich unser Material kenne und weiß, wo es liegt, damit ich das herbei schaffen kann, wenn es gebraucht wird.Die Arbeit am Patienten lasse ich aber die machen, die es auch gelernt haben und können“, erklärt Rainer. „Ich habe schon so viele Dinge gesehen, die muss ich nicht noch fünf mal sehen und halte mich dann gerne zurück“, berichtet Rainer und erzählt von einem schweren Unfall, bei dem ein Kind gestorben ist. „Ich habe noch nie davon geträumt, aber ich habe steinalte Bilder im Kopf, die immer noch glasklar sind“, mahnt er.
Mit seinem Beruf konnte Rainer aber auch einfach Menschen eine Freude bereiten: Zu seinen Aufgaben gehörte es auch immer wieder, Hubschrauber aus der Wartung an die Hubschrauberstationen zu fliegen und andere Hubschrauber dann mit zur Wartung zu nehmen. „Da habe ich liebe Menschen mitgenommen, die zuvor noch nie in ihrem Leben Hubschrauber geflogen sind und die saßen mit einem riesen Grinsen neben mir“, freut er sich. „Das erfüllt mich dann sehr, wenn ich Menschen so eine große Freude bereiten kann, und es so einfach ist. Davon zehren die sehr lange, oft ein Leben lang“.
Die Rettungseinsätze, die Einblicke in alle Schichten der Gesellschaft, das Einladen zu einer Grillwurst, oder das Hineinschauen in große Fabriken endet mit dem heutigen Tag, wenn Rainer das letzte Mal Feierabend macht.
Aber das Freude bereiten mit der Kunst des Fliegens, das wird bleiben, wenn Rainers Träume wahr werden: „Ich mache gerade einen Flugschein für Flächenflugzeuge und mein Plan ist es, mir ab und zu, wenn die Sehnsucht nach dem Fliegen ganz groß wird, eine Maschine zu chartern und einfach noch mal in die Luft zu kommen, und die Schönheiten noch einmal von oben zu sehen. Und dann frage ich wieder liebe Menschen, ob sie Lust haben, mit zu kommen und freue mich an ihrer Begeisterung, wenn sie neben mir sitzen. So ist der Plan“, verrät Rainer mir zum Abschluss.