Erste Hilfe für die Seele - Feuerwehr Winterberg startet Pilotprojekt bei Einsätzen

Sonntag, 31. August 2025 11:09 geschrieben von  Matthias Böhl
Patrick Wahle, Willi König, Notfallseelsorger André Falke, Klaus Greve und Tim Braun von der Feuerwehr Winterberg stellen das neue Pilotprojekt für Winterberg und Umgebung vor. Schwerwiegende Einsätze, bei denen vor allem Angehörige und Passanten belastet waren, haben insbesondere Patrick Wahle von der Zugführung dazu veranlasst, eine noch engere und schnellere Zusammenarbeit zu forcieren. Unter bestimmten Voraussetzungen rücken Notfallseelsorger mit Qualifikationen aus dem Feuerwewehrdienst nun als Erkunder direkt mit zu Einsatzstellen aus. Patrick Wahle, Willi König, Notfallseelsorger André Falke, Klaus Greve und Tim Braun von der Feuerwehr Winterberg stellen das neue Pilotprojekt für Winterberg und Umgebung vor. Schwerwiegende Einsätze, bei denen vor allem Angehörige und Passanten belastet waren, haben insbesondere Patrick Wahle von der Zugführung dazu veranlasst, eine noch engere und schnellere Zusammenarbeit zu forcieren. Unter bestimmten Voraussetzungen rücken Notfallseelsorger mit Qualifikationen aus dem Feuerwewehrdienst nun als Erkunder direkt mit zu Einsatzstellen aus. Fotos: Matthias Böhl, 112-Magazin

WINTERBERG. Ein schwerer Verkehrsunfall, ein Mensch ist ums Leben gekommen. Er war nicht alleine unterwegs, viele andere Menschen haben den Unfall beobachtet, ein Bus mit Fahrgästen war daran beteiligt, alle mussten mit ansehen, was geschieht. Das sind nicht alltägliche, schwer traumatisierende Eindrücke, die einen Menschen sofort aus dem Gleichgewicht bringen, auch, wenn er das Glück hatte körperlich unverletzt geblieben zu sein.

Wenige Augenblicke nach dem verheerenden Unfall wird die Rettungskette in Gang gesetzt. Es ist davon auszugehen, dass ein Mensch eingeklemmt ist. Dass einer der am Unfall Beteiligten diesen Aufprall nicht überleben wird, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Alles zu tun, damit die Verletzten den Unfall überleben und schnellstmöglich versorgt und in Krankenhäuser gebracht werden können, eine Brandentstehung am Unfallort zu verhindern, den Verkehr abzuleiten und eingeklemmte Personen zu befreien – dafür rücken Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei nun aus. Mit diesen Aufgaben haben die Kräfte vor Ort, gerade in der ersten Phase eines Einsatzes, mehr als genug zu tun.

Winterbergs stellvertretender Wehrleiter Klaus Greve erinnert sich an einen anderen Einsatz: „Wir kamen ziemlich als Erstes an, da waren drei Autos beteiligt. Verletzte Menschen lagen mitten auf der Straße, oder waren in Autos eingeklemmt und brauchten dringend unsere Hilfe. Und das muss man mal erleben, an denen vorbei zu laufen, die einen anschauen, weil sie mit dem eben Erlebten nicht zurecht kommen, aber unverletzt geblieben sind und man keine Zeit hat, ihnen zu helfen“.

Diese Erfahrungen und Eindrücke haben zu intensiven Gesprächen der Notfallseelsorge HSK und der Feuerwehr Winterberg geführt und nach einem Motorradunfall mit tödlichem Ausgang und einem weiteren schweren Unfall mit mehreren verletzten Kindern dazu geführt, dass ein Konzept erarbeitet wurde, nachdem ein Erkunder der Notfallseelsorge bei gewissen Einsatzanlässen, bei denen mit schwer Verletzten oder Toten zu rechnen ist, automatisch mit alarmiert wird und sofort mit zur Einsatzstelle fährt. Um nachvollziehen zu können, welche seelsorgerischen Kräfte welche Aufgaben haben, ist zunächst eine kleine Erklärung notwendig. Die Kräfte arbeiten alle in der PSNV, das steht für Psychosoziale Notfallversorgung. Hier wird noch einmal differenziert: Es gibt Kräfte, die für belastete und traumatisierte Einsatzkräfte da sind, das sind Mitarbeiter der PSU (psychosoziale Unterstützung) Teams. Diese übernehmen den Bereich PSNV-E, wobei das E für Einsatzkräfte steht. Die Notfallseelsorge HSK arbeitet parallel zum PSU Team und ist für traumatisierte Betroffene da, also jene Menschen, die direkt an einem Unfall oder einer Notlage beteiligt sind. Als selbst Betroffene, als Ersthelfer, oder als Zeugen. Diesen Bereich kürzt man mit PSNV-B ab, wobei das B für Betroffene steht. Einer dieser PSNV-B Kräfte ist Notfallseelsorger Andre Falke, selbst in der Feuerwehr Winterberg aktiv. Er ist einer von derzeit vier PSNV-B Kräften, die seit Ende 2024 im Rahmen eines Pilotprojektes bei gewissen Einsatzlagen automatisch alarmiert werden. „Es kommt immer nur ein Erkunder zur Einsatzstelle. Der meldet sich dann beim jeweiligen Einsatzleiter an und schaut sich dann nach Absprache die Einsatzstelle aus Sicht eines Notfallseelsorgers an“, erklärt Andre Falke. Eine Vorgehensweise, die bei den Verantwortlichen der Feuerwehr Winterberg auf großes Echo stößt: „Wir haben ja in der ersten Phase überhaupt keine Zeit, auf so etwas zu achten und manchmal wird der Part Seelsorge dann auch unbewusst komplett vergessen“, erklärt Klaus Greve. Nach seiner Erkundung der Einsatzstelle geht der Notfallseelsorger nach einer Art Ampelprinzip vor, erklärt Andre Falke vom Leitungsteam der Notfallseelsorge im HSK.: „Grün, dann ist kein Bedarf einer seelsorgerischen Betreuung, Gelb kann der Erkunder durch ein Gespräch vor Ort selbst abdecken und bei Rot wird es nach Rücksprache mit der Einsatzleitung eine bedarfsgerechte Alarmierung geben“, erklärt er. Dann können sowohl weitere PSNV-B Kräfte für Betroffene, als auch PSNV-E Kräfte für Einsatzkräfte nachalarmiert werden. „Diese Aufgabe haben wir ja dann gar nicht mehr. Das nimmt uns vor Ort immens viel Arbeit weg, so dass wir Zeit für andere Dinge haben“, unterstreichen Tim Braun und Patrick Wahle, Einheitsführer im Löschzug Winterberg. Patrick Wahle war es, der nach zwei sehr schweren Unfällen, bei denen er Einsatzleiter war – einem Einsatz mit einem getöteten Motorradfahrer unter Beteiligung eines Linienbusses und bei einem Verkehrsunfall mit mehreren verletzten Kindern – ganz intensive Gespräche forcierte, um den PSNV Erkunder in der Feuerwehr Winterberg fest zu etablieren. Um als PSNV-Erkunder an den Einsatzstellen tätig zu werden, sind einige Qualifikationen unabdingbar: „Der Erkunder muss bei der Feuerwehr oder im Rettungsdienst tätig sein und muss zwingend wissen, wie man sich an einer Einsatzstelle verhält und wo Gefahren sind“, macht Andre Falke deutlich. Natürlich können Notfallseelsorger auch bei kleineren Einsätzen, bei denen sie nicht automatisch alarmiert werden, jederzeit von der Feuerwehr, dem Rettungsdienst, oder der Polizei angefordert werden. In Winterberg geschah dies beispielsweise bei einem Einsatz im Rahmen einer Reanimation, oder einer verletzten Person im Gleisbett.

Derzeit läuft die Etablierung des PSNV-Erkunders in Winterberg als Pilotprojekt. Nach der Berufsfeuerwehr Dortmund gibt es den PSNV-Erkunder nur noch bei der Feuerwehr Recklinghausen und in Winterberg. In der Umgebung von Recklinghausen befinden sich derzeit zwei ähnliche Projekte im Aufbau.

Wie ist die Resonanz in Winterberg ? „Seitdem wir seit Weihnachten 2024 das Pilotprojekt betreuen, kam es bereits zu sieben Alarmierungen, alle Beteiligten sind hochzufrieden und alle Einsätze konnten erfolgreich bearbeitet werden“, resümiert Andre Falke, dessen Kollegen aus dem Leitungsteam das Projekt sehr mit unterstützen. Im nächsten Jahr ist die Ausbildung weiterer Notfallseelsorger aus den Reihen der Feuerwehreinheiten und des Rettungsdienstes geplant, um das Team weiter zu verstärken und keine körperlich unverletzt gebliebenen Menschen in Ausnahmesituationen zu vergessen, oder versehentlich weg zu schicken. Mit der Feuerwehr in Arnsberg gibt es im Hochsauerlandkreis bereits ein weiteres, identisches System für solche Einsatzlagen.

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