KORBACH/TRENDELBURG. Die Kripo hat einem Rentnerpaar das Handwerk gelegt, das in sehr großem Stil mit verbotenen Medikamenten handelte. Bei der Polizeiaktion stellten die Korbacher Ermittler verbotene Präparate zum Muskelaufbau sowie Potenzmittel mit einem Marktwert von insgesamt rund 220.000 Euro sicher - die Substanzen sind in Deutschland und weiteren Ländern überhaupt nicht für den Handel zugelassen, weil laut Kripo bei Tests während der Entwicklung sogar Menschen starben. Die Sicherstellung der Arzneimittel in einem angemieteten Einfamilienhaus in Trendelburg durch die Korbacher Kripo ist deren Angaben zufolge der größte Fund solcher Substanzen in diesem Jahr in Hessen. Ungewöhnlich ist auch das Alter der Tatverdächtigen: Es handelt sich um ein Rentnerpaar - ein 71 Jahre alter Mann und seine 64-jährige Lebensgefährtin.
Das Paar hatte über einen längeren Zeitraum - offenbar im Auftrag noch unbekannter Hintermänner - von Trendelburg aus einen schwunghaften Handel mit anabolen Steroiden und Potenzmitteln betrieben. Die Bestellung erfolgte über einschlägige Internetseiten, wie es am Freitag bei der Kripo in Korbach hieß. Um die zahlreichen Bestellung privater Kunden - am Tag vor dem Polizeizugriff Anfang Juli waren es 40 Pakete - ohne Aufsehen zu verschicken, fuhren die Rentner zu zahlreichen verschiedenen Paketshops unterschiedlicher Anbieter im Umkreis von mehr als 100 Kilometern. Die Empfänger leben unter anderem in Dänemark, Österreich und Frankreich.
Auf die Spur der beiden Rentner hatte bereits 2009 die Mitarbeiterin eines Paketshops in Bad Arolsen die Polizei gebracht: Ein von der 64-jährigen Tatverdächtigen in der Residenzstadt aufgegebenes Paket konnte nicht zugestellt werden, die Absenderadresse stellte sich als erfunden heraus. Die Paketshop-Mitarbeiterin bat die Polizei um Rat. In Absprache mit der Staatsanwaltschaft öffneten die Ermittler auf der Suche nach einem Hinweis auf den Absender das Paket - und entdeckten die verbotenen Substanzen. Weil jegliche Hinweise, Beipackzettel oder Rechnungen fehlten, stellte die eingeschaltete Kripo die Ermittlungen zunächst wieder ein.
Entscheidender Tipp aus Arolser Paketshop
Erst nach zwei Jahren kam die 64-Jährige erneut in den Paketshop in Arolsen und lieferte ein Paket mit einem markanten Adressaufkleber ab. Als wenig später der 71-Jährige ein Päckchen mit dem gleichen Adressaufkleber abgab, stellte die aufmerksame Mitarbeiterin nicht nur einen Zusammenhang her. Sie lieferte der Kripo auch den entscheidenden Hinweis auf das Paar: Der Mann hatte direkt vor dem Shop geparkt, die Bedienstete notierte das Kennzeichen. "Dass der Wagen auf einen 71-Jährigen zugelassen ist, verwunderte uns zunächst", sagte einer der Ermittler am Freitag bei einer Pressekonferenz in der Polizeidirektion. Weitere Ermittlungen hätten schließlich zu dem Zugriff Anfang Juli in Trendelburg geführt. "Das gehört zwar nicht mehr zu unserem Bereich, die Staatsanwaltschaft hatte uns aber gebeten, wegen der ersten Ermittlungen das Verfahren weiter zu führen", erklärte die Leiterin des K30 bei der Korbacher Kripo, Susanne Gumpricht.
"So etwas noch nicht erlebt"
Als die Kripo mit zahlreichen Kräften und mehreren Fahrzeuge bei dem Rentnerpaar aufschlug, seien die Verdächtigen zunächst sehr sicher gewesen, dass "Sie bei uns nicht glücklich werden", wie Gumpricht am Freitag den 71-Jährigen zitierte. Als Ermittler im Keller des Einfamilienhauses allerdings ein riesiges Lager mit den Substanzen, Verpackungsmaterial und Quittungen bereits verschickter Pakete fanden, ließ sich nichts mehr leugnen. "Die Frau hat so stark gezittert, sie wäre fast umgefallen. So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagte einer der Beamten.
Um die sichergestellten Medikamente abzutransportieren, benötigten die Polizisten mehrere Fahrzeuge. Es handelte sich um anabole Steroide in Form von Pulver, Pillen oder in flüssiger Form in Ampullen. Die unerlaubten Potenzmittel lagerten körbeweise in Form von Tabletten, Pillen oder ebenfalls als flüssiges Präparat in dem Keller. Das Paar verweigerte die Aussage und schweigt auch mehr als vier Wochen nach dem Zugriff noch. Um an die Hintermänner zu gelangen, stellte die Kripo unter anderem auch die Computer und weitere Unterlagen sicher. Wegen des Alters der beiden Verdächtigen erging kein Haftbefehl. Das Paar ist laut Polizei zuvor nie strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ob die beiden 64- und 71-Jährigen mit einer Haftstrafe rechnen müssen oder mit einer Strafe zur Bewährung davonkommen, vermochte die Polizei am Freitag nicht abzuschätzen. Die Hintermänner, sollten sie denn ermittelt werden, würden aber vermutlich zu Haftstrafen verurteilt. Dass die Rentner nicht auf eigene Rechnung handelten, sondern allenfalls Erfüllungsgehilfe waren, ist für die Kripo klar: Die Lebensumstände ließen keine Rückschluss auf ein großes Einkommen zu. Vermutlich hätten die beiden ihre Rente aufgebessert und pro Paket ein kleines Entgelt bekommen.
Hintermänner "haben ein richtiges Problem"
Auch wenn die Rentner möglicherweise nicht gewusst haben, was genau sie da in den Paketen verschicken, so laufen nun weitere Ermittlungen gegen sie wegen gewerbsmäßigen Handels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, wegen illegaler Einfuhr von Arzneimitteln aus dem Ausland sowie wegen Verstoßes gegen die Abgabenordnung. Dass die Hintermänner durch Veröffentlichung des Falles am Freitag nun gewarnt seien, stört bei der Kripo niemanden: "Die haben nun ein richtiges Problem", sagte die K30-Leiterin. "Bei den weiteren Ermittlungen stört uns niemand". Ein Geständnis der Verdächtigen aus Trendelburg würde die Arbeit der Kripo allerdings erheblich erleichtern.