"Wo wir standen, waren mal Häuser" - THW Helfer Jan Lucas Krause aus Bad Berleburg berichtet über seinen Einsatz

Dienstag, 27. Juli 2021 21:07 geschrieben von  Matthias Böhl
Jan Lucas Krause vom THW Bad Berleburg war in der letzten Woche mit seinen Kameraden im Katastrophengebiet im Einsatz und berichtet uns von seinen Eindrücken. Jan Lucas Krause vom THW Bad Berleburg war in der letzten Woche mit seinen Kameraden im Katastrophengebiet im Einsatz und berichtet uns von seinen Eindrücken. Fotos: THW (5), Matthias Böhl 112-Magazin (1)

BAD BERLEBURG/SCHLEIDEN. „Da wo wir waren, haben mal Häuser gestanden. Die Treppe war noch zu erkennen, sonst nichts mehr“. Was Jan Lucas Krause in seinem Gespräch schildert, kann man wohl nicht nachvollziehen, wenn man nicht selbst im Schadensgebiet gewesen ist. Der 19-jährige Bad Berleburger ist seit seiner frühesten Kindheit begeistert für das Technische Hilfswerk, ist später in die THW-Jugend eingetreten und heute als Helfer der Bergungsgruppe im THW Ortsverband Bad Berleburg engagiert.
Gemeinsam mit 13 weiteren Kameraden war er in der letzten Woche im Hochwassergebiet in Nordrhein-Westfalen im Einsatz. Er hat sich nach unserer Anfrage bereit erklärt, uns von seinen Eindrücken, seinen Aufgaben vor Ort und seinen Erlebnissen zu berichten.

Einsatz Tage nach der Flut


Der Einsatz kam erst Tage nach der akuten Flut. Als es akut war, war der THW-Helfer mit seinen Kameraden im benachbarten Sauerland im Einsatz, um Gärten, Keller und Firmen leer zu pumpen. Jetzt ging es darum, die Spuren, die die gewaltige Flut in Teilen der Eifel hinterlassen hat, zu beseitigen und dabei zu helfen, einen langsamen Wiederaufbau zu ermöglichen. Vor allem aber darum, den für die Schadensgebiete erneut angekündigten Starkregen vorbereiten und weitere Schäden verhindern zu können.
Jan Lucas saß mit seinen Eltern im Garten, als sein Telefon ging. „Bist Du einsatzbereit? Dann bitte Sachen packen und zum OV kommen. Es dauert mehrere Tage“. Mehr erfuhr der junge Mann zunächst nicht. Schnell, aber ohne Hektik begann er, seinen Einsatz vorzubereiten. „In meinem Bettkasten habe ich die nötigen Materialien für eine Übernachtung im Freien“, erklärt Jan Lucas, der auch in seiner Freizeit immer wieder gerne im Freien, in den Wäldern seiner Wittgensteiner Heimat, oder anderswo in Deutschland übernachtet und dort dann tagelang auf sich allein gestellt ist. „Und gegenüber ist schon der Kleiderschrank und im Badezimmer die Hygieneartikel“. Der Rucksack sei also schnell gepackt gewesen. „Am Ende waren es doch ein paar Klamotten zu viel“, lacht er. Es folgte eine herzliche Umarmung mit seinen Eltern und die innige Bitte von Mutter und Vater, auf sich Acht zu geben. Sie alle wissen, dass der Einsatz nicht ungefährlich ist und bereits Einsatzkräfte in den Fluten ertrunken sind.
Etwa fünf Minuten nach dem Anruf ist er zum wenige Kilometer entfernten THW Ortsverband gefahren. „Alles was an THW Sachen noch rein passte, habe ich dazu gepackt“, schildert Jan Lucas. Dann ging die Kolonnenfahrt Richtung Einsatzgebiet los. „Wir waren mit drei Fahrzeugen und 14 Leuten im Einsatz“, berichtet er. Dabei wussten Jan Lucas und seine Kameraden zunächst nicht, was sie erwartet. „Wir sollten erst mal in den Bereitstellungsraum fahren und da auf einen genauen Einsatzauftrag warten“, erinnert er sich. Vom Bereitstellungsraum aus wurden er und seine Kameraden in eine Turnhalle einer Schule gebracht. „Da haben wir dann unsere Feldbetten aufgebaut und einen Schlafplatz hergerichtet. Mittlerweile war es schon abends“, erzählt er. Andere THW Ortsverbände sind bereits im Einsatz. Sie sollen von Jan Lucas und seinen Kameraden abgelöst werden.
Wie sein Gefühl, seine Gedanken waren, als er wusste, dass er jetzt mitten ins Zentrum des Katastrophengebiet fahren sollte, um dort zu helfen, frage ich ihn. „Ich weiß, dass ich meinen Kameraden hier blind vertrauen kann. Angst hatte ich deshalb nicht“, versichert er mir. Aber auch: „Mir war schon klar, dass das etwas anderes sein würde, als Keller leer zu pumpen“.

Mehrere Einsatzaufträge in den Tagen


Nachdem die Schlafplätze eingerichtet waren und der erste Einsatzauftrag am nächsten Morgen kam, klang dies zunächst weniger spektakulär: „Wir mussten Sandsäcke füllen“, erzählt Jan Lucas. Er und seine Kameraden haben von diesem Zeitpunkt an Sage und Schreibe 11.000 Sandsäcke in etwa zehn Stunden befüllt. „Uns taten Hände und Arme weh, weil man immer die selben Bewegungen gemacht hat“, berichtet er mir. Aber ans Aufhören habe nie jemand gedacht: „Wir haben dann die Arbeiten getauscht, damit jeder mal anders beansprucht werden konnte und dann war es gut machbar“, schildert er. Rund 15 bis 20 Kilo wiegt ein Sandsack, den die Helfer nach Augenmaß befüllen mussten. „Die Säcke wurden dann an den Ufern des Flusses positioniert, der durch die beiden Dörfer fließt, um ein erneutes Übertreten bei dem angekündigten Regen zu verhindern“, erklärt Jan Lucas. Erleichtert waren er und seine Kameraden, als der Regen deutlich schwächer ausfiel, als angekündigt. „Der ganz große Regen ist zum Glück ausgeblieben. Es hat ein bisschen getröpfelt“.
Der erste Einsatz dauerte bis spät in den Abend. „Danach haben wir Bratkartoffeln mit Leberkäse gegessen“, freut sich Jan Lucas. Gekocht übrigens ebenfalls von Kameraden des THW.
„Wir haben an diesem Abend noch lange zusammen gesessen und uns unterhalten. Da hatte ich schon den Eindruck, dass vor allem bei den Kameraden, die schon zuvor in einem Katastrophengebiet im Einsatz waren, die Stimmung getrübt war. Es ist schon bedrückend, mitten in Schutt und Asche zu stehen, wo eigentlich einmal Häuser standen“, gibt der junge Mann zu bedenken.

Schwere Eindrücke für die Helfer

Am nächsten Morgen reichte die Zeit für ein Frühstück nicht mehr aus. Es gab einen erneuten Einsatzauftrag. „Diesmal mussten wir direkt in ein Dorf, durch das die Flut gekommen ist“, erinnert sich Jan Lucas. Unterwegs habe man schnell bei einem Bäcker angehalten, und sich eine Kleinigkeit auf die Hand gekauft.
In dem Dorf wirken schwere Eindrücke auf Jan-Lucas und seine Kameraden ein. „Da wird Dir anders“, gesteht er mir. „Man kannte die Bilder ja aus dem Fernsehen, aber selbst dort zu stehen, das ist noch mal ganz etwas anderes“, macht er deutlich. Auf dem Weg dorthin seien sie an einer Stelle vorbeigekommen, wo zwei Häuser einfach weg gespült worden seien. "Ob die Menschen dort noch rechtzeitig raus gekommen sind, wissen wir nicht".
Die Straßen im Ort seien ausgeschwemmt gewesen, aber das habe noch halbwegs gegangen, berichtet er. „Dann standen wir an einem Fluss, wo wir ein großes Betonteil zur Bergung vorbereiten mussten. Am Ufer hatte vor 24 Stunden noch ein Haus gestanden. Das war eingestürzt“, schildert er seine Eindrücke. Während der Arbeit, so erzählt mir der 19-Jährige, müsse man diese Eindrücke ausblenden. „Aber in den Pausen haben wir darüber natürlich nachgedacht und uns gefragt, wie es den Menschen wohl jetzt geht“.Das schwere Betonteil, das für die Bergung vorbereitet werden soll, wiegt rund 13 Tonnen. Das haben die Helfer anhand der Betondichte und Abmessungen vor Ort ermittelt. Um dieses Teil letztlich mit einem Autokran bergen zu können, mussten die THW Helfer noch eine weitere Bergungsgruppe mit speziellem Gerät anfordern, die diese Aufgabe dann zu Ende führte. „Wir haben noch zwei weitere Einsätze am Fluss gehabt“, berichtet Jan Lucas. Dabei sei es zunächst darum gegangen, einen Baufachberater zu sichern, der mitten im Wasser gestanden habe, um Brücken in Augenschein zu nehmen. „Mein Kollege Justin und ich haben ihn von außen mit Gurten gesichert und festgehalten“, beschreibt er die Aufgabe dort. Wenig später musste die Truppe um Jan Lucas selbst mit Wathosen ins Hochwasser gehen: „Es musste eine Brücke im Fluss von sperrigem Unrat befreit werden, um nicht erneut einen Stau und eine Überflutung auszulösen“, erklärt er. Dabei wurden die Helfer von ihren eigenen Kameraden gesichert, die sich wiederum mit Haken im Boden auch gesichert haben. 

Am Nachmittag endete schließlich auch der zweite Einsatztag und die Kameraden konnten ihre Heimreise antreten. „Wir waren alle sehr müde, haben auf der Heimfahrt viel geschlafen aber auch über all das geredet, was wir hier gesehen haben und wie es für die Menschen wohl jetzt weiter geht“, berichtet Jan Lucas abschließend. Gegen Mitternacht seien sie an der Unterkunft gewesen und gegen halb eins dann wieder daheim bei ihren erleichterten Familien.

Schließlich gehen wir noch zu dem Fahrzeug, mit dem Jan Lucas im Einsatz war und machen ein Foto für unseren Artikel.
Jan Lucas strahlt. Er ist gemeinsam mit Vielen einer der Helden dieser entsetzlichen Katastrophe.

Zuletzt bearbeitet am Dienstag, 27. Juli 2021 22:01

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