Schon seit Jahren wird mir die große Ehre zu Teil, bei der Bergetaufortbildung der Luftrettungsstation Christoph 17, Kempten/Allgäu dabei zu sein. So sind auch in diesem Jahr wieder Trainingstage in Ofterschwang, sowie in Schwangau absolviert worden, bei denen ich mit dabei war. Heute möchte ich den Lesern von 112-Magazin - auch wenns nicht zur Region gehört - einen Einblick geben. Einen Einblick, dass das Rettungsmittel Hubschrauber auch noch ganz andere Aufgaben erfüllen kann, als Patienten in Spezialkliniken zu verlegen, oder nach schweren Unfällen den Notarzt einzufliegen, um den Patienten gezielt in weit entfernt liegende Kliniken zu bringen.
Ich hoffe, dass es trotz des fehlenden "lokalen Bezuges" gefällt und mal ein interessanter Blick "über den Tellerrand ist", den ich gerne öfters gewähren kann, wenn dies bei Euch - unseren Lesern - ankommt.
Matthias Böhl, 112-Magazin
ALLGÄU/TIROL/VORARLBERG.
Es ist kalt an diesem Mittwochmittag, frischer Schnee und ein eisiger Wind bestimmen das Bild in dem kleinen Bergdörfchen Ofterschwang in den Allgäuer Alpen, nahe der Österreichischen Grenze. Wie im Märchenland sieht es aus mit den weißen Gipfeln, dem blauen Himmel und den schneebedeckten Feldern.
In der Dorfstrasse, unweit des Feuerwehrhauses herrscht reges Treiben. Einige Frauen und Männer der Bergwacht warten unterhalb des Ofterschwanger Horns auf das Eintreffen des Rettungshubschraubers „Christoph 17“. Mit einem tiefen Überflug, um sich einen Überblick zu verschaffen, kündigt Pilot Holger Barke nun die schnelle Hilfe aus der Luft an. Zielgenau landet er den Hubschrauber vom Typ EC 135 in einer Schneewolke am Ortsrand. Dies ist heute nicht der reguläre Rettungshubschrauber fürs Allgäu, sondern eine Reservemaschine der Bundespolizei Fliegerstaffel Oberschleißheim bei München, die Piloten und Maschine für die Luftrettungsstation im Allgäu und in Traunstein stellt.
Neben den ehrenamtlichen Helfern der Bergwachten aus dem Allgäu und den österreichischen Kameraden aus dem Land Vorarlberg sind auch viele Besatzungsmitglieder von „Christoph 17“ zur Dorfstraße gekommen: Piloten, Notärzte und Rettungsassistenten. Sie alle sind da, um sich fit zu halten. Fit zu halten für einen für den Laien atemberaubenden Einsatz, um Menschen aus Bergnot zu retten und nicht selten letzte Hoffnung zu sein. In der zerklüfteten Bergwelt ist oftmals der Hubschrauber die einzige Möglichkeit, einen Patienten erreichen und dann auch ins Krankenhaus bringen zu können. Doch keineswegs überall ist eine Landung möglich. Dann muss das Team sich überlegen, wie der Arzt zum Patienten und der Patient anschließend in den Hubschrauber kommt.
Daniel Heim, leitender Rettungsassistent der Hubschrauberstation „Christoph 17“ und Pilot Holger Barke, Übungsleiter von Seiten der Bundespolizei, weisen die Bergretter ein. Es werden wichtige Handzeichen und dringend erforderliche Funkverständigungen besprochen. Die Notverfahren werden erläutert und der Hubschrauber vorbereitet.
Das Rettungskonzept: Unter dem Hubschrauber wird mit einem speziellen System an zwei separaten Haken ein Rettungstau eingehängt. Sieben, 25, oder 50 Meter lang kann das Seil sein, und man kann es auch variabel miteinander verbinden – bis zu einer Gesamtlänge von 82 Metern. Unten am Seil hängen in der Regel zwei Retter, die sich dort selbst einklinken können. Auf der Kufe des Hubschraubers steht ein HCM – ein Hems Crew Member, speziell ausgebildeter Rettungsassistent für die Luftrettung. In diesem Fall Robert Reichart, selbst in seiner Freizeit engagierter Bergwachtmann. Robert Reichart hat nun die anspruchsvolle Aufgabe, mit Sicht- und Funkkontakt zu den Rettern unten am Seil den Piloten einzusprechen, damit der exakte Absetzpunkt gefahrlos angeflogen werden kann. Der Pilot kann nicht sehen, was unter dem Hubschrauber los ist. Er muss sich auf die Anweisungen Robert Reichart verlassen. Der wiederum ist auf die Angaben der Retter am Seil weiter unten angewiesen. In diesem „Dreierteam“ müssen die Frauen und Männer ihr Können unter Beweis stellen. Während Holger, Robert, Bergretter und Notarzt zum Ofterschwanger Horn fliegen, machen sich die nächsten beiden Retter am Boden für den Abflug klar. Der Hubschrauber kommt zurück und reguliert die Höhe nach Anweisung des HCM auf der Kufe. Die beiden Retter hängen sich ein, teilen dies auch über Funk sofort mit und wieder geht es raus in die unwegsamen Berge. Millimetergenau spricht Reichart den Piloten ein und die Retter werden ein weiteres Mal punktgenau abgesetzt. Präzisionsarbeit am Berg in eisiger Kälte. Viele Male an diesem Tag wiederholt sich das eindrucksvolle Szenario. Mit wechselnden Teams. Alle Bergretter, alle Piloten und alle Notärzte und HCM, die mit Christoph 17 zu ihren Missionen starten, üben das anspruchsvolle Rettungsverfahren mindestens zwei Mal im Jahr. Wechselnde Trainingsorte garantieren dabei immer wieder andere Bedingungen.
Lohnt sich dieser Einsatz? In der Hubschrauberstation Christoh 17 hängt ein Brief einer Familie, die sich bei den Teams für die Rettung des Bruders bedankt. Darin heisst es: „Engel schickt uns der Himmel, Schutzengel mit und ohne Flügel“. Eine andere Begebenheit durfte ich bei einem anderen Training in dem Berggebiet „Reutter Wanne“ mit erleben: Ein Ehepaar, dass dieses Flugtraining beobachtete, war selbst auf diese Weise gerettet worden und bedachte deshalb noch im Training die Bergwacht mit einer großzügigen Spende.
Und nach dem Training am Ofterschwanger Horn kehren die Bergwachtler und Luftretter am Abend noch in einem Gasthof im Ort ein. Ein Mann, der dort von der Übung erfahren hat, lädt alle auf seine Kosten ein. Mehr Bestätigung für ihre Arbeit können die Frauen und Männer gar nicht bekommen. Das wollen sie auch gar nicht. Sie sehen sich nicht als Helden.
Und das merke ich selbst bei jedem Training, bei dem ich dabei sein darf. Ganz tolle, echte und bodenständige Menschen sind das. Ehrliche Seelen mit Spaß an der sinnvollen Arbeit in den Bergen. Absolute Experten und Profis und trotzdem immer bescheiden.