Rheuma und Bewegung – der Muskel als Apotheke

Mittwoch, 22. Oktober 2025 09:07 geschrieben von  Michael Fränkel
Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse. Ca. 250 Besucher folgten gebannt Dr. Dr. med. Gabriel Dischereits Vortrag. Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse. Ca. 250 Besucher folgten gebannt Dr. Dr. med. Gabriel Dischereits Vortrag. Foto: Kreiskrankenhaus Frankenberg gGmbH

FRANKENBERG. Das MVZ Frankenberg hatte zu einem Patientenvortrag eingeladen: Der Rheumatologe und Osteologe Dr. Dr. med. Gabriel Dischereit sprach über „Rheuma und Bewegung – der Muskel als Apotheke des Körpers“.
Am 13. Oktober war der Zuschauerandrang groß, denn es gibt sehr viele Rheuma-Patienten in Deutschland. Die Besucher waren gespannt auf aktuelle Erkenntnisse aus der Rheuma-Forschung zur Frage, wie sich Sport therapeutisch nutzen lässt. Sie wurden nicht enttäuscht: Dr. Dr. Dischereit band das Publikum in einen spannenden Vortrag ein und präsentierte das Thema leicht verständlich.

1,8 Millionen Rheuma-Patienten in Deutschland
Zunächst gab Dr. Dr. Dischereit einen Überblick über die verschiedenen rheumatischen Erkrankungen, die Diagnostik und ihre Abgrenzung von orthopädischen Problemen wie beispielsweise einer Arthrose, bei der degenerative Veränderungen die Ursache von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sind. Bei den rheumatischen Beschwerden handelt es sich um chronisch verlaufende Autoimmunprozesse. Das bedeutet: Das körpereigene Immunsystem ist fehlgesteuert und sorgt für Entzündungen an verschiedenen Stellen im Körper.
Nach aktuellen Zahlen leiden 1,8 Millionen Deutsche an entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, davon sind 20.000 Kinder betroffen. Dr. Dr. Dischereit erklärte anschaulich, wie Botenstoffe des Immunsystems, sogenannte Zytokine, die Entzündungsreaktion steuern. Es gibt sowohl Zytokine, die Entzündungen fördern, als auch solche, die sie begrenzen. Bei rheumatischen Erkrankungen befinden sich diese nicht im Gleichgewicht: Die Zytokine, die die Entzündung befeuern, haben die Oberhand. Die medikamentöse Therapie kann Schmerzen lindern und die Entzündungsreaktion drosseln, stößt aber an Grenzen. Nur bei gut einem Drittel der Patienten kann sie die chronische Erkrankung komplett und dauerhaft zum Stillstand (Fachbegriff: Remission) bringen. Häufig sind weitere Maßnahmen wie Physio-, Ergo- und Bewegungstherapien erforderlich.

Die WHO empfiehlt 2,5 Stunden Sport pro Woche
Dr. Dr. Dischereit zeigte die allgemeinen Empfehlungen der WHO, wie viel Bewegung notwendig ist, um negative Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebenserwartung zu vermeiden. Demnach sollte sich jeder Mensch etwa zweieinhalb Stunden in der Woche moderat bewegen (zum Beispiel walken, Rad fahren, schwimmen). Alternativ reicht die Hälfte der Zeit bei anstrengender Belastung (Kraft- oder Ausdauertraining, Joggen). Er fragte das Publikum, wer dieses Maß tatsächlich erreiche – nur sehr wenige Hände wurden gehoben. In Deutschland liegt die Quote derjenigen, die die Empfehlung nach eigenen Angaben erfüllen, bei 50–60 Prozent, unter Rheuma-Patienten aber nur bei etwa 25 Prozent. Gründe sind unter anderem Schmerzvermeidung, Schonung entzündeter Körperteile sowie bereits bestehende Funktionseinschränkungen und muskuläre Defizite.

Das Potenzial des Muskels als „Apotheke“
Gerade für Rheuma-Patienten steckt im Sport ein großes Potenzial, die Symptomatik zu verbessern. Der Muskel selbst ist der Schlüssel hierzu, denn er wird durch Bewegung angeregt, entzündungshemmende Zytokine zu bilden, die hier Myokine genannt werden. Diese hormonähnlichen Botenstoffe setzen im ganzen Organismus positive Impulse und unterstützen gesunde Funktionen – von Knochen und Darm über Blutgefäße bis hin zum Gehirn. Dazu zählen insbesondere die Regulierung des Glukosestoffwechsels auf mehreren Ebenen, der Abbau des besonders negativen viszeralen Fetts (tief im Bauchraum direkt um die Organe), die Erhaltung der Flexibilität der Blutgefäße sowie die unmittelbare positive Beeinflussung von Zellen des Immunsystems.
Die Erkenntnisse über positive Effekte einer regelmäßigen Aktivierung der Skelettmuskulatur – unter anderem über die Freisetzung von Myokinen – sind noch relativ jung, aber so beeindruckend, dass sie zu einem Paradigmenwechsel in den Leitlinien der Rheuma-Behandlung beigetragen haben, wo früher oft zu Schonung geraten wurde. Jedem Rheuma-Patienten wird nun regelmäßiges körperliches Training empfohlen; die entzündungshemmende Wirkung entfaltet ein vergleichbares Potenzial wie die pharmakologische Therapie. In Kombination wirken medikamentöse und Sporttherapie synergistisch und verstärken sich gegenseitig. In einer zweijährigen Studie mit sportlich sehr aktiven Rheuma-Patienten war die Zunahme der im Röntgenbild darstellbaren Knochenschäden in den betroffenen Gelenken geringer als in der Kontrollgruppe ohne intensives Training.

Motivation und individueller Trainingsplan
In der Praxis bedeutet dies: Jeder Rheuma-Patient sollte von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten immer wieder motiviert werden, sich regelmäßig zu bewegen. Sinnvoll ist ein an die aktuelle körperliche Verfassung und Funktionskapazität angepasster individueller Trainingsplan, der auch Begleiterkrankungen (zum Beispiel des Herz-Kreislauf-Systems) berücksichtigt. Bei Funktionseinschränkungen können zusätzlich physio- beziehungsweise ergotherapeutische Behandlungsmaßnahmen sinnvoll sein, die bei entsprechender Grunderkrankung extrabudgetär verordnet werden können.
Die Besucher dankten Dr. Dr. Dischereit mit kräftigem Applaus für den sehr informativen und kurzweiligen Vortrag. Es schloss sich ein reger Austausch mit dem Publikum an; der Rheumatologe beantwortete individuelle Fragen leicht verständlich und mit großer fachlicher Expertise.

Neustes 112-Video

Werbeprospekte

Anzeige
Anzeige