BAD WILDUNGEN. Bei der schrecklichen Flutkatastrophe im Ahrtal haben viele Menschen in den Wassermassen ihr Leben verloren, von Feuerwehren und Rettungsdienst konnten viele nur sehr schwer oder gar nicht erreicht werden. Auf Bäumen, Dächern, Balkonen, Masten oder Trümmerteilen warteten sie in Todesangst auf Hilfe. Ein Segen war dabei die Hilfe aus der Luft. Mit Hubschraubern wurden zumeist ehrenamtliche Bergwachtler ins Katastrophengebiet geflogen und zu den Menschen in Not abgeseilt. Sie bereiteten die Bewohner dann für eine Windenrettung vor und innerhalb kürzester Zeit wurden die Menschen mit ihren Rettern an Bord der Hubschrauber gewincht und in Sicherheit gebracht. Dieses Verfahren haben die Luftretter der Bergwachten gemeinsam mit den Hubschrauberbesatzungen unzählige Male geübt. Nur deshalb konnten bei der Hochwasserkatastrophe so viele Menschenleben gerettet werden. Allein hessische Teams haben im Ahrtal 306 Menschen das Leben gerettet.
„Das war der Ausschlag für unsere Übung“, berichtet Gerd Windhausen, Technischer Leiter der Bergwacht Hessen und Technischer Leiter der Bergwacht in seiner Bad Wildunger Heimat. Unmittelbar nach der Rettungsaktion im Ahrtal hatte er mit seinen Kollegen die Einsätze Revue passieren lassen und die ehrenamtlichen Helfer haben dabei den Entschluss gefasst, die Einsatzlage aus dem Ahrtal als Ausgangspunkt für eine Katastrophenschutzübung zu nehmen. „Bei den Einsätzen im Ahrtal ist klar geworden, dass die Rettungsaktionen mit Luftrettern und Hubschraubern sehr gut funktioniert haben und wir da auf sehr hohem Niveau arbeiten, weshalb auch die vielen Rettungen in kurzer Zeit so gut geklappt haben. Es wurde aber auch klar, dass die Koordination so vieler Hubschrauber auf engem Raum und die Koordinierung vom Boden aus noch mal geübt werden müssen. Das kannte man ja bisher gar nicht“, erklärt Gerd Windhausen, selbst erfahrener Luftretter bei der Bergwacht.
Große Planung und Logisitik
Am Samstag war es dann nach langer Planungsphase soweit: Ab 12 Uhr begann die Übung „Urff23“, die ihren Namen dem Urfftal verdankt, aus dem rund 110 Personen mit Hubschraubern gerettet werden mussten. Dazu waren alle Bergwachte n Hessens, die Bergwacht Winterberg, Bergwachten aus Thüringen und Rheinlandpfalz nach Nordhessen gekommen, um ihre Luftretter zur Verfügung zu stellen. Außerdem kamen Beobachter der Bergwacht Bayern, aus dem Schwarzwald und Sachsen ins Urfftal. Die Logistik der Übung wurde durch die Bad Wildunger Feuerwehren und Hilfsorganisationen unterstützt: So kümmerten die Ehrenamtlichen sich um die Registrierung der Einsatzkräfte, Helfer, Mimen und Feuerwehrleute, sie sorgten für die Verpflegung der Einsatzkräfte und betreuten die Mimen an den einzelnen Winchorten in den Dörfern des Urfftals. Sie sorgten außerdem für notwendige Absperrungen an den Übungsobjekten und dafür, dass jeder Darsteller seinem Übungsobjekt zugeteilt wurde.
Absperrungen rund um die Landebasis an der Jägersburg, entlang der B 253 und auf umliegenden Rastplätzen stellte die Polizei sicher. Die Polizei hatte als Organ des Innenministeriums auch die Sicherheitsvorkehrungen für den Besuchstermin mit Hessens Inneminister Peter Beuth übernommen, der sich vor Ort ein Bild von den Möglichkeiten der Einsatzkräfte verschaffte und sich über die Möglichkeiten von Hubschrauberrettungen informierte. Außerdem richtete die Polizei gemeinsam mit Rainer Kurth, dem Leiter der Bergwacht Hessen, eine Presseanlaufstelle ein.
Ausnahmezustand im Urfftal
Gegen 12 Uhr wurde es dann richtig ernst: Die sechs Hubschrauber, die bereits am Flugplatz in Allendorf/Eder in einem Bereitstellungsraum warteten, erhielten ihren Einsatzbefehl zur Menschenrettung aus höchster Not. Zunächst flogen die Maschinen dazu die Landebasis Jägersburg an, wo sie Luftretter der Bergwachten oder der Höhenrettungsgruppe der Berufsfeuerwehr Wiesbaden aufnahmen. Von dort aus ging es dann ins wenige Flugminuten entfernte Schadensgebiet, was sich vor allem auf die Ortschaften Hundsdorf, Armsfeld und Bergfreiheit konzentrierte. Hier waren im Vorfeld Objekte ausgesucht worden, von denen die Mimen mittels Hubschraubern gerettet werden sollten.
Über die mobile Einsatzleitung des Landkreises Waldeck-Frankenberg, die ebenfalls im Bereich der Jägersburg stationiert war, erhielten Hubschrauber und Luftretter ihre Einsatzbefehle.
Als erstes landete wenige Minuten nach der Alarmierung ein Hubschrauber der Deutschen Rettungsflugwacht aus Dortmund an der Jägersburg und nahm Luftretter auf. Noch während die Luftretter zustiegen, war bereits der zweite Hubschrauber des SAR im Landeanflug, kurze Zeit später folgte „Ibis 3“ von der Polizeifliegerstaffel Hessen ,die insgesamt mit allen drei Hubschraubern vertreten war. Außerdem war eine EC 155 der Bundespolizei Fliegerstaffel Fuldatal mit im Einsatz.
Am Dorfgemeinschaftshaus in Hundsdorf, an der Armsfelder Straße in der Ortsmitte gelegen, war einer der Stationen, an der Hilfe suchende Menschen mit der Rettungswinde abgeholt werden mussten. Für Hubschrauberbesatzungen und Luftretter durchaus eine anspruchsvolle Aufgabe: Nieselregen erschwerte die Sicht, zum anderen war es wichtig, mit dem Rotorabwind des Hubschraubers die Menschen auch nicht von den schrägen Dächern zu wehen, oder Schäden an Gebäuden anzurichten. Auch Hindernisse, wie beispielsweise ein Sirenenmast, spielten beim Winchvorgang eine große Rolle und durften nicht zur Gefahr für die Luftretter werden.
Präzisionsarbeit über den Dächern von Nordhessen
Dazu mussten die Windenoperatoren in der Schiebetür des Hubschraubers, oder auf den Kufen stehen und genau beobachten, wie sie den Luftretter abwinchen – dieser musste den Operatoren mit Handzeichen und Funk genaue Angaben machen, um sicher bei den Menschen auf den Dächern anzukommen. Die Piloten wiederum mussten sich auf die Instruktionen der Windenoperatoren verlassen, weil sie selbst nicht sehen konnten, was sich unter dem Hubschrauber abspielt. Wenn das Absetzen des Luftretters ohne Probleme funktioniert hatte, musste dieser die Opfer mit einer speziellen „Rettungswindel“ ausstatten und sie dann in sitzender Position nach oben begleiten. So lange musste der Hubschrauberwieder abdrehen, um mit dem Rotorwind keine Gefahr für die Rettung darzustellen. Nachdem ein Darsteller an Bord genommen worden war, folgte direkt der nächste Anflug und es wurden so lange Menschen aufgenommen, bis der Hubschrauber an der Gewichtsgrenze angekommen war. Dann ging es für die Geretteten samt Luftretter zurück zur Landebasis an der Jägersburg, um gegebenenfalls Besatzungen zu tauschen, und neue Rettungsflüge zu beginnen.
Die Herausforderung dabei war es, die Hubschrauber so zu koordinieren, dass es keine Gefahrensituation einer Begegnung gab und das möglichst schnell, möglichst viele Menschen gerettet werden konnten. „Es wurden jedem Hubschrauber gewisse Korridore zugewiesen. Der Erkundungshubschrauber, der sich einen Überblick der Lage verschaffte und entsprechende Rückmeldungen gab, fliegt am höchsten. Im nächsten, etwas tieferen Korridor fliegen die Hubschrauber, die Gerettete an Bord genommen haben und zur Landebasis müssen. Und ganz tief, etwa 300 Fuß sind die Hubschrauber unterwegs, die die Rettungen aktuell durchführen“, erklärte Steffen Bustert von der hessischen Polizeifliegerstaffel. Zudem gab es für die Hubschrauber genaue An- und Abflugwege, über die sie ins Urfftal ein – und wieder ausfliegen, und auch von wo aus sie die Landebasis ansteuern und wieder verlassen. Außerdem gab es feste Landepunkte, an denen Luftretter aufgenommen wurden, oder an denen die Geretteten abgesetzt wurden.
Neben dem Dorfgemeinschaftshaus in Hundsdorf wurden Menschen an der Kläranlage Hundsdorf, dem Dorfgemeinschaftshaus Armsfeld, dem Sportlerheim Armsfeld, der Grillhütte und der Kläranlage in Armsfeld, einer Hanglage an der Kolbenmühle, sowie der Kläranlage und einem Damm in Bergfreiheit abgeholt.
Gegen Ende der Übung drohte noch ein Altenheim überschwemmt zu werden und musste schnellstmöglich evakuiert werden. Hier waren viele der Menschen zum Glück gehfähig, so dass die Hubschrauber hier landen konnten, um die Leute zu Fuß aufzunehmen – angeleitet und begleitet wiederum durch die Luftretter der Bergwacht.
Hervorragende Leistungen aller beteiligten Einsatzkräfte
Gegen 17:00 Uhr endete die Übung und die Beteiligten konnten im anschließenden Debriefing feststellen, dass sie alle eine hervorragende Arbeit geleistet hatten: Sie hatten 110 Menschen sicher und schnell aus höchster Not gerettet und ausgeflogen, die Koordination zwischen Boden- und Luftkräften hatte einwandfrei funktioniert und es ist zu keiner gefährlichen Situation weder für Retter, noch für Hilfesuchende gekommen.
Den Einsatz der Kräfte wusste bei seinem Besuch auch Innenminister Peter Beuth zu würdigen, der sich begeistert zeigte: „Ich bin froh, zu wissen, dass wir ein so gut funktionierendes System zur Rettung von Menschenleben haben, was hier auch zu einem ganz großen Teil ehrenamtlich ausgeführt wird“, sagte der Minister vor Ort. Er war überzeugt: „Wenn diese Menschen nicht so gut ausgebildet wären und üben würden, hätte die Rettung im Ahrtal nicht so gut funktioniert“. Die eigentliche Übung im Urfftal konnte der Minister nicht mehr mit ansehen, da er bereits wieder andere Verpflichtungen bereits vor Beginn der Rettungsaktionen hatte. Als Reaktion auf den Einsatz im Ahrtal hatte Beuth unter anderem dafür gesorgt, dass auch der dritte Polizeihubschrauber Hessens mit einer Winde ausgestattet wurde und somit in kürzester Zeit für solche Lagen zur Verfügung steht.
Nach der erfolgreichen Übung und dem Debriefing traten die rund 250 Einsatzkräfte und 110 Mimen ihre Heimreise an. Für die Bergwachten war damit der Einsatz lange nicht beendet: Das Reinigen der Fahrzeuge und des Materials, das Aufrüsten für die nächsten Einsätze und das Wiederherstellen der Einsatzbereitschaft standen danach auf dem Plan.
Die Hubschrauber verabschiedeten sich in einer Formation mit einer Runde über das Urfftal und die Landebasis, auch mit einem Gruß und einem Dank an die Bevölkerung, die nun weiß, dass schnelle Hilfe aus der Luft verfügbar ist, wenn es heißt: Hochwasserlage – Menschenleben in Gefahr.