WALDECK-FRANKENBERG. „Man versucht, alles Persönliche auszublenden. In dem Moment gilt nur der Einsatz. Wenn der Melder geht, musst Du halt funktionieren.“, Mark Hiller beantwortet mir meine Frage, wie er die Eindrücke bei dem Anschlag auf den Karnevalszug in Volkmarsen wahrgenommen hat. Dort war der 46-jährige zur Betreuung unverletzter Menschen eingesetzt. „Aber den Menschen, die dort ins Rathaus kamen, wo wir unseren Betreuungspunkt eingerichtet hatten, konnte man ansehen, dass etwas Schlimmes passiert war“, berichtet er weiter.
Mark Hiller ist OLRD des Landkreises Waldeck-Frankenberg. Ehrenamtlich, neben seinen Diensten beim DRK Rettungsdienst, wo er im Hauptberuf arbeitet. Was heißt das eigentlich, OLRD? Und was macht ein OLRD? Das möchte ich von Mark Hiller wissen, deshalb treffen wir uns in seinem Wohnzimmer zu Hause im Medebacher Ortsteil Oberschledorn, nur wenige Meter vom hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg entfernt.
„OLRD steht für Orginastorischer Leiter Rettungsdienst“, erzählt Mark mir. Er kommt dann zum Einsatz, wenn es einen Einsatz gibt, der so groß ist, dass er mit den normalen Mitteln des Rettungsdienstes nicht mehr abgearbeitet werden kann. Seine Aufgabe ist dann die Organisation und Koordinierung der medizinischen, rettungsdienstlichen Maßnahmen an so einem Großschadensort. „Das variiert von Gegend zu Gegend“, erklärt Mark Hiller. „Stell Dir vor, im Stadtzentrum von Frankfurt passiert ein Unfall mit fünf Verletzten. Da schnippt man einmal mit dem Finger und hat sechs, sieben Rettungswagen an der Einsatzstelle. Passiert dasselbe hier im ländlichen Bereich, sind alle umliegenden Rettungswachen mit einem Schlag leer“, gibt er zu bedenken. Daran liege es, dass die unterschiedlichen Landkreise auch bei unterschiedlichen Einsatzmeldungen einen OLRD mit zum Einsatzort schicken. „Fakt ist, wenn der OLRD mit alarmiert wird, ist immer ein größerer Einsatz im Gange“, macht Hiller deutlich. Der Einsatz in Volkmarsen, so erzählt er mir, sei sein bisher größter Einsatz in der OLRD-Zeit gewesen. Seit vier Jahren hat Mark dieses Amt inne und teilt es sich mit 17 weiteren Kollegen. „Der Dienst wechselt täglich. Jeder hat einen Funkmeldeempfänger und auch ein eigenes Funkgerät zu Hause“, berichtet er mir. Besonders gut gefällt dem sympathischen Oberschledorner dabei sein Funkrufname: „Der ist 08-15“, lacht er. Die 08 stehe dabei für den OLRD und die 15 sei seine Position bei der Durchnummerierung der 18 OLRD im Landkreis. „Es kann nur einen geben! Highländer gab es auch nur einmal“, sagt Mark und lacht. Er berichtet mir, dass er in der Wache oder von anderen Kollegen oft angesprochen werde und es Witzchen gebe, wenn am Funk wieder ein „08-15“ zu hören gewesen sei. Und dass es Highlander auch nur einmal gegeben habe, antwortet der Mann, der in seiner Freizeit Pyrotechnik betreibt, dann jedes Mal.
Die Einsätze erfolgen übrigens oftmals mit dem Privatwagen. „Zwar steht in Frankenberg ein Fahrzeug des DRK Rettungsdienstes zur Verfügung, das, wenn es nicht anderweitig benötigt wird, genutzt werden kann. Aber die Kollegen starten alle von zu Hause und je nachdem, wo wir hin müssen, ist Frankenberg manchmal ein Umweg“, schildert er. Da mache es Sinn, dass auch jeder ein eigenes Funkgerät für diesen Dienst habe. „Dazu mussten wir eigens ein Funkzeugnis ablegen, denn normal darfst Du ein solches Gerät gar nicht zu Hause haben“, erklärt er mir. Das Einsatzgebiet von Mark Hiller ist groß: „Der ganze Landkreis Waldeck-Frankenberg“, erklärt er mir. Aber es sei bei den Alarmierungen so, dass alle OLRD einen Melderalarm bekommen und wenn es zeitlich passe, dann würde auch ein Kollege, der eigentlich keinen Dienst hat, einen Einsatz übernehmen, wenn er schneller da sein könne. Aber nicht immer funktioniere dies, und dann sei der Weg auch schon mal etwas weiter. „Nach Volkmarsen zum Beispiel, fahre ich rund eine Stunde von hier“, rechnet er mir vor. Seit vier Jahren ist Mark Hiller als OLRD im Einsatz.
Mich interessiert, wie er mit den Eindrücken solch massiver Einsätze umgeht. Eigentlich ist es logisch und doch bin ich überrascht über das, was er mir erklärt: „In aller Regel bekomme ich vom Einsatzgeschehen und den Verletzten vor Ort selbst nicht viel mit. Ich sitze im Einsatzleitwagen und muss mich dort darum kümmern, dass die Verletzten in die entsprechenden Krankenhäuser gebracht werden können. Wenn es sich um eine größere Lage handelt, können OLRD auch als Abschnittsleiter eingesetzt werden, haben aber dort auch ausschließlich organisatorische Aufgaben“, schildert er mir seine Aufgaben am Einsatzort.
Dieser Umstand ist auch gleichzeitig die größte Herausforderung am OLRD Einsatz für Mark: „Es muss erst mal alles organisiert werden. Der Einsatz läuft ja schon eine Zeit lang, wenn ich dazu komme. Dann nehme ich mir den zuerst Eingetroffenen in den Schlepptau, der weiß ja schon eine Menge. Wir wollen als OLRD das Rad nicht neu erfinden“, erklärt Mark.
Ein Ziel stehe bei allen Einsätzen dieser Art an oberster Stelle: „Wir wollen die Roten finden und keine weiteren Roten, oder gar Todesfälle produzieren“, erklärt mir Mark und spielt damit auf eine Einteilung der vielen Verletzten an: Sie werden in so einem Massenanfall mit farblichen Karten gekennzeichnet. Die, die eine rote Karte bekommen, sind so verletzt, dass sie nur von einer umgehenden Erstversorgung und einem zügigen Transport ins Krankenhaus profitieren.
„Am besten ist es aber, wenn wir gar nicht erst raus müssen“, wünscht sich Mark. „Denn wenn wir nicht raus müssen, geht es den Menschen gut“.
Nicht nur als OLRD in Waldeck-Frankenberg arbeitet der Rettungsdienstmitarbeiter ehrenamtlich. Auch in der Einsatzleitung des Hochsauerlandkreises, seinem Wohnort, hat er einen festen Platz. Das Engagement in zwei Landkreisen macht dem Familienvater sehr viel Spaß und hat natürlich auch einsatztaktische Vorteile: „Zum einen kann man sich austauschen und Weiterbildungslehrgänge gleich für zwei Landkreise besuchen. Zum anderen kann ich von meinem Wohnort sehr schnell im Upland sein, genau so schnell in Korbach und in Münden bin ich auch sehr schnell“, zeigt Mark auf.
Anschließend gehen wir zu seinem „Einsatzfahrzeug“, um noch ein Foto zu machen. Ganz unscheinbar, ein Fahrzeug, was Mark privat nutzt, kommt hier zum Einsatz. Nicht spektakulär. Auch seine gesamte Arbeit sieht Mark nicht als spektakulär an. Ich selbst bin nach dem Gespräch sehr beeindruckt, dass ein Helfer neben seinem Hauptberuf eine solch enorm verantwortungsvolle Aufgabe übernimmt, die so viele weit reichende Entscheidungen beinhaltet. Er wünscht sich einen ruhigen Tag, als ich mich von ihm verabschiede. Dass „08-15“ heute nicht mehr raus muss. „Fahr vorsichtig!“, ruft er mir gut gemeint und mit einem gleichzeitigen Augenzwinkern zu, bevor er wieder ins Haus geht. Und tatsächlich blieb es an diesem Tag ruhig für „08-15“.