WITTGENSTEIN. Als Timo Wolzenburg mich besucht, um für unsere Serie Pate zu stehen, da ist er zunächst verunsichert. Fast sogar enttäuscht. „Was habe ich denn Besonderes?“, fragt er mich zaghaft. „Ich bin Rettungssanitäter und Feuerwehrmann, habe als Fahrer eines Milchwagens gearbeitet. Aber was ist da die Besonderheit?“, ist Timo unsicher.
Wie kommt das, dass jemand den Weg vom Milchwagen in den Rettungswagen findet? Das interessiert mich.
Eigentlich, so erzählt Timo mir, sei er ausgebildeter Tiefbauer. Habe aber dann in einem Kanalreinigungsunternehmen gearbeitet. Drei Jahre lang. „Ich wollte noch einen Nebenverdienst haben und bin dann nebenbei bei einem Fuhrunternehmen tätig gewesen. Dort habe ich vor allem Milch-Lkw gefahren“, erklärt Timo mir. Er hat die Bauernhöfe in der Region angefahren und den vollen Milchzug anschließend so manche Nacht sicher nach Hungen und wieder zurück gebracht. Schließlich sei von seinem damaligen Chef das Angebot gekommen, in Festanstellung im Transportunternehmen zu arbeiten. Timo willigte ein. Der Lkw-Führerschein, den er bei dem Kanalreinigungsunternehmen erworben hatte, kam ihm nun zum ersten Mal zu Gute. Und bei seinem wichtigen Freizeitengagement, der Tätigkeit in der Freiwilligen Feuerwehr Feudingen, dem Nachbarort seines Heimatdorfes Rückershausen, einem Stadtteil von Bad Laasphe. „Die Feuerwehr hat mich übrigens dazu gebracht, dass ich zum Rettungsdienst gegangen bin“, verrät Timo. Ein Einsatz, bei dem er damals zusammen mit dem Notarztwagen alarmiert wurde, um eine Wohnungstür zu öffnen, hatte den Entschluss ausgelöst. „Wir haben bei der Versorgung geholfen und den Patienten, dem es sehr schlecht ging, anschließend aus der Wohnung getragen. Da habe ich gemerkt, wie wichtig diese Tätigkeit ist“, erinnert sich Timo. „Die endgültige Entscheidung kam nachts im Milchwagen“, weiß er noch genau. Er erzählt mir: „Da hast Du Zeit zum Nachdenken, wenn Du alleine auf dem Bock bist. Und da habe ich mich entschieden: Ich mache das jetzt“. Gesagt, getan. Direkt am Morgen nach der Nachtschicht hatte Timo verschiedene Rettungsdienstschulen kontaktiert und in Olpe einen Platz zur Ausbildung erhalten. Timo hatte Erfolg: Er wurde Rettungssanitäter und durch weitere Bemühungen bekam er eine Arbeitsstelle im DRK Rettungsdienst in Siegen-Wittgenstein. Zunächst in der Rettungswache in Bad Berleburg und später dann in Bad Laasphe. „Allzu lange bin ich ja noch gar nicht dabei“, merkt er an. Kein Grund jedoch, dass er sein eigenes Licht unter den Scheffel stellen müsste. Timo geht gerne zur Arbeit, jeden Tag. „Ich habe es überhaupt nicht bereut!“, versichert der junge Mann mir glaubwürdig und aus voller Überzeugung, als ich ihn danach frage. Vielmehr ärgere er sich, dass er diese Lebensentscheidung nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt getroffen habe.
Zwar sei er am Anfang, als er das erste Mal alleine mit einem Kollegen im Rettungswagen eingeteilt war, etwas aufgeregt gewesen, aber das habe sich mittlerweile gut gelegt. „Man ist ja immer im Team da und nie alleine im Einsatz“, freut er sich. Dieses Miteinander vermittele dem Team viel Sicherheit.
Besonders beeindruckt hat ihn in seiner erst kurzen Dienstzeit ein Dienst am Heiligen Abend des letzten Jahres. Sein erster dieser Art: „Es ist ein gutes Gefühl, gerade an solchen Tagen für Menschen in Not da sein zu können“, schwärmt er. An diesem Tag, so berichtet Timo, habe er auch das erste Mal bei einem Notfall mitgeholfen, bei dem Kind medizinische Hilfe benötigte. „Davor hatte ich schon immer ziemlich Angst. Wer versorgt schon gerne Kinder?“, fragt er in den Raum. „Gerade, weil ich selbst eine kleine Nichte habe, hat mir das auch sehr Leid getan“, gesteht Timo mir, dessen Profilfoto bei Facebook übrigens zeigt, wie er überglücklich seine kleine Nichte Elli, die jetzt sechs Jahre alt ist, auf seinen Schultern trägt.
Das Kind am Heiligabend habe den Notfall übrigens gut überstanden. Eine Situation, die Timo an seinem Beruf besonders viel Freude bereitet: „Wenn man jemanden versorgt und den Menschen hinterher noch mal wieder sieht – das ist einfach toll“, berichtet er. So sei es ihm einmal in einer Gaststätte gegangen. Timo lächelt. Das freut ihn. Unverkennbar. Er hat noch einen Wunsch zum Schluss unseres Gespräches: „Dass die Menschen, wenn sie krank sind, früh genug anrufen. Es ist viel besser, einmal zu viel als einmal zu wenig anzurufen. Bei vielen Erkrankungen, zum Beispiel einem Schlaganfall, kann man nur innerhalb eines Zeitfensters richtig effektiv helfen“, warnt der junge Mann.
Als unser Gespräch zu Ende ist, da erkenne ich – auch nach Timos anfänglichen Zweifeln ganz klar Besonderheiten, die das Vorstellen im Rahmen dieser Serie definitiv zum Pflichtprogramm machen: Ein junger Mann, vielleicht zur Schulzeit nicht immer ganz motiviert, macht seinen Hauptschulabschluss und absolviert eine Ausbildung zum Tiefbauer. Später arbeitet er in einem Kanalreinigungsunternehmen und fährt nachts Tausende Liter Milch von den Bauernhöfen in die Molkerei. Er hat einen Lkw-Führerschein erworben, eine Festanstellung und steht mitten im Leben. In seiner Freizeit ist er als Helfer auf einem Bauernhof seines besten Freundes engagiert und investiert seine Zeit in die Dienste der Feuerwehr. Timo steht mitten im Leben. Dann erlebt er einen Einsatz mit der Feuerwehr und der zu versorgende Patient tut ihm sehr Leid.
Seine bis dahin gesicherte Zukunft, sein finanzielles Einkommen, die Festanstellung – all das wirft er zugunsten einer zunächst ungewissen Zukunft über den Haufen. Denn ob er die Ausbildung schaffen und danach eine Anstellung bekommen würde – das stand für Timo keineswegs fest. Und trotzdem: Der junge Mann geht seinen Weg. Wird Rettungssanitäter, arbeitet jeden Tag gerne und hilft in Not geratenen Menschen. Der Hauptschulabschluss, der in vielen Berufen gar als Ausschlusskriterium gilt, hat ihn daran nicht gehindert. Die Energie und Muße zu seinem Weg kam aus tiefster Überzeugung und davon hat er bis heute nichts verloren. Das ist etwas ganz Besonderes! Wir vom 112-Magazin wünschen Timo weiterhin viel Freude in seinem Traumberuf.