Blutsonntag - Eine wahre Geschichte von Volker Wollny

Freitag, 18. Januar 2013 14:10 geschrieben von  Volker Wollny

Ein raues Volk lebt auf der Ostalb, zwischen Ulm und Aalen. In früheren Zeiten, so erzählt man, wurde hier auch viel gewildert. Ursprünglich einmal war das Jagen ja jedem freien Manne erlaubt gewesen und die Ansicht, dass dies ein unveräußerliches Recht sei, Jagdregal sowie Reviersystem hingegen ungerechte Herrengesetze, hielt sich lange im Volk. Noch nach dem ersten Weltkrieg, als die Zeiten hart waren, besserte mancher seinen Speisezettel oder auch seine Barschaft mit heimlich erlegtem Wild auf.

 

Eine verbotene Nebenbeschäftigung

 So ging in den zwanziger Jahren auch ein Kleinbauer und Tagelöhner, nennen wir ihn Heiner, aus einem kleinen Dorf auf dem Härtsfeld heimlich dem unerlaubten Waidwerk in den Wäldern der Gegend nach. Das war so schon eine ganze Weile gut gegangen. Der Schwiegersohn des Heiners, soll er meinetwegen Frieder heißen, war Teilhaber einer kleinen Jagd. Von ihm erzählte man sich, dass er den Grenzstein in der Tasche trage, es also mit der Jagdgrenze nicht allzu genau nähme. Sprich: Er war genauso ein Wilderer wie sein Schwiegervater. An einem frühen Sonntagmorgen im Hochsommer hatten sich die beiden verabredet um mit einander unerlaubt zu pirschen und waren daher im Wald unterwegs.

Am Abend zuvor hatte sich der zuständige Förster, er schrieb sich, sagen wir einmal, Schäuble, von seinem Wohnort im Tal aus auf den Weg ins Revier gemacht. Er wollte in der Nähe des Dorfes auf einen Rehbock ansitzen. Da es ein weiter Fußmarsch aufs Härtsfeld war, versah er sich mit Proviant, um in einer Jagdhütte zu übernachten, falls er am Abend den Rehbock nicht bekommen sollte. Er blieb dann zunächst auch Schneider und war daher am Morgen wieder auf dem Weg zum Ansitz auf den Bock.

Heiner und Frieder hatten eine Zeit lang gemeinsam den Wald durchstreift, sich dann aber getrennt um jeder für sich weiter zu pirschen. Mit einmal stand nun der Heiner dem Förster Schäuble gegenüber, der just zu dieser Zeit zu seinem Hochsitz ging.

„Ha,“ rief der, hob seinen Drilling und legte auf Heiner an. „Wo hast Du Dein Gewehr? Her damit!“ Offensichtlich hatte er das zerlegbare Schießeisen gesehen, das Heiner nur notdürftig unter seiner Jacke verborgen hatte.

„So schnell schießt man nicht!“ entgegnete der Heiner und näherte sich dem Förster. Er wusste, dass dieser aufgrund einer Verwundung aus dem Weltkrieg seine linke Hand nicht gebrauchen konnte. Diesen Vorteil nutzend, entriss er dem Förster den Drilling und legte nun seinerseits auf ihn an.

Der Förster befand sich nun in der misslichen Lage, in die Mündungen seiner eigenen Waffe zu sehen. Er gab aber so leicht nicht auf, sondern zog sein Terzerol und zielte damit auf den Heiner. Daraufhin schoss dieser den rechten Schrotlauf des Drillings ab. Die Schrotgarbe riss dem Förster den Hut herunter und verletzte ihn am Kopf. Das wurde ihm nun doch zu brenzelig; er beschloss daher zu flüchten und rannte dem Waldrand zu.

Der Heiner nahm die Verfolgung auf, spannte im Laufen das abgeschlagene Schloss und schaltete den Drilling auf Kugel um. Als Schäuble am Waldrand war, riss der Heiner den Drilling an die Backe, zielte und zog beide Abzüge durch. Sowohl der zweite Schrot- als auch der Kugelschuss krachten aus den Rohren, trafen den Förster in den Rücken und warfen ihn vornüber auf sein Gesicht. Er zuckte noch ein wenig mit den Schultern, dann war er mausetot.

 

Kein Reh, aber...

Heiner stand noch mit dem Drilling in der Hand da, als es auf einmal im Unterholz knackte.

„Hast Du ein Reh geschossen?“ fragte der Frieder, den das Krachen der Schüsse herbei gelockt hatte.

„Nein, aber einen Förster“, gab der Heiner zurück.

„Oh, Du Allmachts Depp, du blöder, du Seckel, du Arschloch“, rief der Frieder, „ja weißt Du denn nicht, dass sie dich dafür köpfen werden?“

„Nur, wenn sie mich kriegen“, entgegnete der Heiner gleichmütig, „Los, hilf mir den Grünen unter den Hochsitz dort tragen. Da legen wir ihn hin, damit es wie ein Unfall aussieht.“

Gemeinsam packten die beiden also den Förster, schleppten ihn zu dem Hochsitz und legten ihn darunter. Der Dackel des Ermordeten sprang die ganze Zeit um die beiden Verbrecher herum und bellte sie zornig an. Die beiden fingen ihn zum Schluss ein und leinten ihn an der Leiche des Försters an. Dann gingen die beiden nach Hause und taten, als wenn nichts gewesen wäre.

Nach dem Frühstück sagte der Heiner zu seinen zwei noch zu Hause lebenden Kindern: „Es gibt heuer einen Haufen Himbeeren, heute Vormittag wollen wir in den Wald gehen und welche pflücken.“ Vor allem der kleinen Tochter gefiel der Vorschlag und so zog die Familie los. Der Heiner wusste es dabei so einzurichten, dass sie just in die Gegend kamen, in der er am Morgen den Förster erschossen hatte. Das hatte er sich schon bei der Heimkehr von seinem blutigen Jagdausflug so überlegt.

Eine grausige Entdeckung

Im Wald dirigierte er dann seine Tochter unauffällig in die Richtung des bewussten Hochsitzes. „Papa, Papa, da ist ja ein Dackel...“ rief sie aus, als sie zunächst den Hund des Forstmannes entdeckte, der jetzt wieder wütend bellte und in die Leine sprang, als sie sich ihm näherte.

„Und da...“, das Kind stockte erschrocken, „Da liegt ein toter Jäger!“, schrie sie voller Grausen und kam zu ihrem Vater gerannt.

Der Heiner näherte sich dem Fundort und tat so, als wenn er erst jetzt erkennen würde, wer da lag: „Ja schau her, der Förster Schäuble, ich hab ja immer gesagt, dass so ein Kriegskrüppel nicht mehr für den Forstdienst taugt. Wie es ausschaut, ist der Depp auf dem Hochsitz eingeschlafen, runtergefallen und hat sich dabei mit seinem eigenen Gewehr erschossen.“

Mit den Kindern zusammen marschierte der Heiner nun zum Förster des Nachbarreviers, mag er Sauter geheißen haben, und berichtete diesem von dem Fund, den er mit seinen Kindern gemacht hatte. „Bringen Sie mich doch bitte zu der Stelle“, bat dieser den Wilderer.

„Das will ich gerne tun“, gab der zurück, „aber zuerst muss ich meine Kinder nach hause bringen und zu Mittag essen.“ Der Nachbarförster musste also warten, bis der Heiner in aller Gemütsruhe seinen Sonntagsbraten verzehrt hatte und bereit war, ihn zur Leiche seines Kollegen Schäuble zu führen.

Eine Frau macht sich Sorgen

Unterdessen hatte sich die Frau des Erschossenen bereits Sorgen über das lange Ausbleiben ihres Mannes gemacht. „Buben, wir müssen schauen, wo unser Vater bleibt, nicht dass im Revier noch etwas passiert ist“, hatte sie zu ihren beiden Söhnen gesagt, den Hut aufgesetzt, die Kostümjacke angezogen und war mit ihnen losgegangen, auf das Härtsfeld hinauf, in das Revier ihres Mannes. In der Nähe des Waldes trafen sie einen Schäfer, den sie fragten, ob er vielleicht den Förster gesehen habe?

 

„Den Förster habe ich nicht gesehen“, meinte der, „aber hat er vielleicht einen Hund dabei gehabt? Drüben im Wald hat schon den halben Morgen einer gebellt, außerdem sind dort zwei Schüsse gefallen und ich habe zwei Männer gesehen, die aus dem Wald kamen und davon gegangen sind.“

Mit bösen Vorahnungen eilten die Förstersfrau und ihre Söhne in die Richtung, die ihnen der Schäfer gewiesen hatte. Schon vor dem Wald hörten sie den wütenden Laut des Dackels. Sie folgten dem Geräusch und standen kurz darauf am Hochsitz, vor der verrenkten Leiche ihres Mannes und Vaters. Kurz darauf kamen auch der Heiner und Schäubles Kollege aus dem Nachbarrevier dazu.

"Es war ein Unfall..."

Im Lauf des Nachmittags trafen dann Leute vom Amtsgericht ein, um den Todesfall im Wald zu untersuchen. Als vermeintlichen Zeugen zog man auch den Heiner hinzu, der in plump-verschlagener Weise versuchte, die Ermittlungen in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken: „Ha, schaut doch her, ihr Herren, so ist der Kerle vom Hochsitz gefallen und hat sich dabei selber erschossen. Eingeschlafen ist er, vom Sitz gekippt und dabei hat sich das Gewehr entladen.“ Um den von ihm dargestellten „Unfall“hergang zu demonstrieren, hob er dabei die Leiche mehrmals an und ließ sie grob wieder fallen, was bereits den Unwillen der Anwesenden erregte.

Schließlich untersuchte der Arzt den toten Förster Schäuble: „Meine Herrschaften, ich glaube kaum, dass sich dieser Mann versehentlich selbst erschossen hat. Er hat je einen Schrot- und einen Kugelschuss in den oberen Rücken bekommen. Das ist schlechterdings unmöglich, wenn er aus der offenbar anzunehmenden, sitzenden Position gefallen wäre und sich dabei die Schüsse aus den Läufen seines Drillings gelöst hätten.“

„Ja aber Herr Dokter,“ insistierte der Heiner weiter, „es kann doch gar nicht anders gewesen sein, als das sich der Schäuble selbst erschossen hat; es war doch gar niemand sonst hier.“ Er wollte keine Ruhe geben, und versuchte immer wieder sowohl den Arzt, als auch die anderen von seiner Version des Hergangs zu überzeugen: „Wenn sich der Förster nicht selbst erschossen hat, wer soll das denn dann getan haben?“

„Das werden wir schon herausfinden“, meinte nun der Amtsgerichtsrat und sah dabei den Heiner forschend an, „das wäre nicht der erste Förster, der von Wilderern umgebracht wurde, die er bei ihrem Frevel überrascht hat.“

 

Zwei Verdächtige

Zunächst war es dann aber doch der Frieder, denn die Amtleute mitnahmen und einsperrten. Förster Schäuble hatte nämlich seinem Kollegen Sauter vom Nachbarrevier gegenüber erwähnt, dass er den Frieder im dringenden Verdacht gehabt hatte, dann und wann die Grenzen seiner Jagd zu überschreiten und im Staatswald zu wildern. Darüber hinaus wusste auch die Familie des ermordeten Försters, dass dieser Wilderer dessen größter Feind war. Bei der Vernehmung des Schäfers schließlich, der die Schüsse und den Laut des Hundes gehört hatte, gab dieser an, dass er den Frieder sowohl am Abend zuvor als auch am Tatmorgen auf seiner Jagd in der Nähe der Grenze zum Staatswald beobachtet hatte – und zwar das zweite Mal mit seinem Gewehr.

Nachdem man nun davon ausgehen musste, dass es sich tatsächlich um einen Mord handelte, wurde der Fundort der Leiche von der Kriminalpolizei genauer untersucht. Dabei bestätigte sich, was der Arzt bereits gesagt hatte: „Der Förster Schäuble kann sich unmöglich selbst erschossen haben“, meinte der Kommissar, als er dem Staatsanwalt Bericht erstattete, „weder haben wir Einschläge am Hochsitz oder den Bäumen finden können, noch kann der Kugelschuss von unten gekommen sein, denn er hat die Brust des Toten waagerecht durchschlagen. Allerdings ist er tatsächlich mit seinem eigenen Drilling erschossen worden, wie der Sachverständige festgestellt hat.“

„Dachte ich es mir doch“, meinte der Staatsanwalt. „Es kommt aber noch besser:“, fuhr der Komissar fort, „auch der Hund war ursprünglich an der Leiche angeleint, was ja wohl nicht gut möglich sein kann, wenn der Förster zwei Meter weiter oben auf dem Hochsitz gesessen wäre. Die Frau und die Söhne hatten ihn bereits zu sich genommen bevor die Leute vom Gericht eintrafen, so dass dies erst bei weiteren Vernehmungen der Angehörigen bekannt wurde. “

„Und wie ich gehört habe, haben sie noch einen weiteren Verdächtigen verhaftet?“ fragte der Staatsanwalt.

 „Ja, es handelt sich dabei um den Arbeiter Schmid. Auch der war den Förstern als mutmaßlicher Wilderer bekannt, nur konnten sie es ihm nicht beweisen. Im vergangene Herbst hatte Förster Schäuble einen bewaffneten Wilderer im Revier angetroffen, der sich der Festnahme jedoch durch Flucht entziehen konnte. Schäuble glaubte aber, in ihm den besagten Schmid erkannt zu haben, wie mir sein Kollege Sauter berichtet hat.“

 „Nun, welcher von beiden es wohl nun war?“ sinnierte der Staatsanwalt.

 „Na, das werden wir nun wohl schon noch heraus bekommen“, meinte der Komissar zuversichtlich.

Einer packt aus

 Zurück in seinem Büro ließ er sich zunächst den Frieder aus dem Gefängnis bringen. „Tja, die Version mit dem Unfall können wir nun wohl endgültig zu den Akten legen“, eröffnete er ihm und konfrontierte ihn mit den Ergebnissen der genauen Untersuchung. „Wie es aussieht hast du den Förster irgendwo erschossen und seine Leiche dann unter den Hochsitz geschleppt um einen Unfall vorzutäuschen. Und dass ausgerechnet dein Schwiegervater den Förster dann gefunden hat, kommt mir besonders verdächtig vor. Was der mit der Sache zu tun hat, werde ich aber auch noch heraus kriegen!“

 Nun fühlte der Frieder buchstäblich schon die Klinge des Richtbeils im Genick, mit welchem der Scharfrichter Maß nahm und wurde äußerst gesprächig: „Ich war es doch gar nicht, Herr Komissar, mein Schwiegervater war es.“ Und er erzählte dem Kriminalbeamten haarklein, was sich an jenem schönen Sonntagmorgen in dem Wald auf dem Härtsfeld abgespielt hatte. Schließlich musste er alles noch genau bei einem Lokaltermin vormachen, was schließlich jeden Zweifel am Tathergang beseitigte, so überhaupt noch welcher bestanden hatte. Den Arbeiter Schmid ließ man natürlich laufen, da nun klar war, dass er es nicht gewesen war.

 Der Heiner arbeitete gerade auf dem Acker als sie ihn holten. Er lächelte zunächst höhnisch und legte später bei der Vernehmung ein Teilgeständnis ab: „Ja, ich habe den Förster erschossen, aber in Notwehr. Er hat mich ja mit seiner Waffe bedroht.“ Auch er stellte bei einem Ortstermin den Tathergang genauso dar, wie sein Schwiegersohn. Schließlich erbot er sich sogar, die Beamten zum Versteck seines Gewehres zu führen. Im Heuschober, wo die Waffe versteckt war, fanden sich noch zwei weitere Gewehre und ein ansehnlicher Vorrat an Patronen.

 „Ja Papa, warum nimmt dich die Polizei mit?“ fragte sein Sohn, der dazu gekommen war. „Weil ich dem Förster, dem Krüppel, das Licht ausgeblasen habe“, war die kaltschnäuzige Antwort des Heiners und seine Frau, die ebenfalls dabei stand meinte: „Wäre der Depp nicht im Wald gewesen, wäre er auch nicht erschossen worden.“

Beim Untersuchungsrichter packte der Heiner dann vollends aus: „Ja sicher hab ich den Förster von Anfang an  umbringen wollen! Aber mit dem ersten Schuss hat es ja nicht geklappt. Wie ich ihm dann nachgesprungen bin, hab ich den rechten Hahn von dem Drilling wieder gespannt, auf Kugel umgeschaltet und mit Fleiß auf sein Herz gezielt.“

 Damit sah das Schwurgericht in Ellwangen die Tatmerkmale des Mordes als gegeben an und verurteilte den Heiner noch im gleichen Herbst zum Tode durch das Fallbeil. Man köpfte ihn dann aber doch nicht, sondern begnadigte ihn zu lebenslänglich Zuchthaus. Lange hat er dann trotzdem nicht mehr gelebt. Nicht viel später hängte er sich nämlich in seiner Zelle auf.

Quelle: Volker Wollny

Mehr Infos: www.selbstversorger-blog.over-blog.de

Zuletzt bearbeitet am Freitag, 18. Januar 2013 14:28

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